Atomtransporte: Zwang zum Schuß

Umweltministerium will Begleiter von radioaktiver Fracht im Ernstfall zum Schußwaffengebrach zwingen  ■  Aus Bonn Charlotte Wiedemann

Das Begleitpersonal von Atomtransporten soll verpflichtet werden, im Notfall auf „Störer“ zu schießen. Die entsprechende Richtlinie des Bonner Umweltministeriums ist zwar noch nicht in Kraft, liegt aber seit Januar als Verschlußsache aus der Töpfer-Behörde vor.

Die Transporteure von hochradioaktiver Fracht wie abgebrannten Brennelementen müssen bereits nach bisheriger Behördenpraxis Schußwaffen mitführen. Doch das reicht offensichtlich nicht: Minister Töpfer möchte die Angehörigen des Begleitpersonals „im Rahmen der ihnen zumutbaren Eigengefährdung arbeitsvertraglich verpflichten, gegenüber Störern solange hinhaltenden Widerstand zu leisten, bis die Polizei wirksam eingreifen kann“, so heißt es in der vertraulichen Richtlinie. Dazu gehöre „im äußersten Notfall“ der Schußwaffengebrauch. Dieser Fall ist im Szenario der Atomstaatsbeamten zum Beispiel gegeben: „Beim Eindringen eines Störers in die gesicherten Bereiche des Beförderungsverbandes.“ Oder: wenn „die Überwindung der Barrieren des Beförderungsmittels zu besorgen“ ist. Schießt das Personal in diesen Fällen nicht, „so kann diese Verletzung seiner Garantenpflicht zu arbeits- und strafrechtlichen Konsequenzen führen (Unterlassungsdelikt)“. Auf deutsch: Wer nicht schießt, fliegt.

Die Beförderer der Nukleartransporte dieser „SicherungskategorieI“ müssen laut Richtlinie nachweisen, daß ihr Personal über „Kenntnisse und Fertigkeiten im Waffengebrauch“ verfügt. In „verschärften Gefahrenlagen“ sollen die Träger „nach eigenem Ermessen“ bestimmen, „in welchem Zustand sie die Waffen führen“. Daß man sich mit einer entsicherten Pistole auch ins eigene Knie schießen kann, haben die Verfasser des Papiers in Töpfers Referat „Reaktorsicherheit I/3“ gleich mitbedacht: Sie empfehlen, „gegebenenfalls eine Ausnahmebewilligung des zuständigen Unfallversicherungsträgers“ einzuholen.

Die Existenz der vertraulichen Richtlinie („Anforderungen an das Begleitpersonal und Personal der Beförderungsleitstelle bei Beförderungen von Kernbrennstoffen der SicherungskategorieI auf der Straße“), die der taz vorliegt, wollte das Bundesumweltministerium auf Nachfrage weder bestätigen noch dementieren. Jedoch versicherte Ministeriumssprecher Hans-Peter Meister, die arbeitsvertragliche Verpflichtung zum „hinhaltenden Widerstand“ und zum Schußwaffengebrauch sei noch nicht in Kraft, sondern „im Beratungsprozeß“. Es gebe dabei noch „ungeklärte Rechtsfragen“, sagte Meister. Der Umwelt -Staatssekretär Gröbl hatte noch im September im Bundestag auf eine Nachfrage der Grünen beruhigend geantwortet, eine Verpflichtung zum „gezielten Todesschuß“ sei bei dieser Planung nicht vorgesehen.

Der Dienstweg zur Durchsetzung der Schieß-Richtlinie ist nach Töpfers sogenannter Entflechtung der Atomindustrie ohnehin kürzer geworden: Für den Transport hochsensitiver Atomfracht ist jetzt die „Nuklear Cargo & Service GmbH“ zuständig - eine Tochter der Bundesbahn.