Langes Denken höhlt den Film

■ „The Fruit Machine“ (Regie: Philip Saville, Drehbuch: Frank Clarke) läuft im Filmstudio: Ein Film aus Stoff für fünf / „Nicht spezifisch surreal, sondern real und unwirklich zugleich„(Saville)

Mutter Jean sieht aus wie ein dicker, runder Marshmellow und guckt den ganzen Tag Videofilme. Vater Billy ist Ausländer mit gewalttätigen Machoanwandlungen. Und Sohn Eddie ist schwul. Diese Ausgangslage zu The Fruit Machine erdachte Frank Clarke, immerhin der Drehbuchautor von A Letter To Breshnev. Nachdem der Erstlingsfilm „regelrecht aus ihm herausprudelte“, benötigte er für seine neueste Arbeit gut sechs Monate. „Ich mußte viel über mich und meine Umgebung nachdenken“. Das ist dem Film anzumerken.

The Fruit Machine, das ist eine ausgeflippte Schwulendisco in einer kleinen Nebenstraße in Liverpool. Eddie (Emile Charles), das

blondgekrauste Mischlingskind, verschlägt es eines Nachts in die ehmalige Frucht-Markthalle mit seinem Freund Michael (Tony Forsyth). Michael ist gerade aus dem Knast abgehauen, und Ed, das Mannkind mit fragilem schwulen Bewußtsein, ist auch entflohen. So tun sich beide zusammen, nicht ohne sich zu versichern, einander beizustehen. Das haben die beiden Jugendlichen auch bald bitter nötig, denn das Liverpool der Thatcher-Ära ist nicht nur extrem arm, sondern auch besonders reich an Verbrechern. Nachdem schon zu Beginn ein (Halb)Seidengangster eine Schwulensauna zu Klump hauen ließ, bedient er sich diesmal des machetenschwingenden Schön

lings Echo, den Transvestitenwirt Annabelle ins Jenseits zu befördern.

Wie bitte, ein wenig komplex, die Handlungsebenen? Nach sechs Monaten des Nachdenkens durfte das Resultat offensichtlich keine Love-Story in der morbiden Kulisse der Beatlesstadt sein, sondern ein vielschichtiger Thriller mit Taumsequenzen. „Poetischer Realismus“ heißt dies bedeutungsvoll bei Regisseur Philip Saville, Kinokritiker nennen es profaner „restlos überfrachtet mit guten Vorsätzen“.

Denn es kommt noch ganz schön dicke. Die beiden Unzertrennlichen („Du bist jetzt alles, was ich habe“) beobachten nämlich die niedersausende Riesen

klinge und den Täter, der sie hielt. So müssen sie sich alsbald doppelt verfolgt fühlen, vom Killer und der Polizei. So stehlen sie sich in ein Luxushotel, und obendrein noch ins Herz eines ältlichen Opernsängers. Der nimmt sie noch in der selben Nacht mit an die Strandpromenade in Brighton. Dort findet sich Michael in den kraft-und lustvollen Fängen einer Werbemanagerin wieder und wenig später in der pockennarbig schwülstigen Umarmung des Sängers. Wo das Geld halt fehlt, muß eben der Körper herhalten.

Ein Ende ist noch längst nicht abzusehen. Denn der kräuselige Ed muß noch erst in Delphinarium, wo die geliebten Meeres

säuger Oberteile von Domteusenbusen knuspern die Verwandlung einer anziehenden Tierschüterzin in ein nackte mitverfolgen, weil das die Freiheit bedeutet. Im nächtlichen Delphinarium badet er mit den Tieren, erhält eine lebensgefährliche Stichwunde vom Killer, der ganz plötzlich auch auftaucht.

Fertig ist das neue Epos des New British Cinema. Da war doch wieder alles drin. Clause 28, etwas diffuse Schwulensülze, militanter Tierschutz, Nackte, bonbonfarbene Kulissen, organisiertes Verbrechen und ein sekundenlanges Product placement für BOSS. Frank Clarke sollte einfach nicht so viel nachdenken.

Jürgen Francke