: Brave Besetzung
■ VHS-Kolleg nach der Räumung
Mittwoch nacht räumte die Polizei das mit rund 400 Leuten gut besetzte Volkshochschul-Kolleg Schöneberg. Nachdem die seit Dienstag streikenden Kollegiaten, die hier im Zweiten Bildungsweg ihr Abitur machen, unter Polizeidruck „freiwillig“ aus dem Haus gegangen wurden, starteten sie zusammen mit den aus Solidarität gekommenen Schülern von Gymnasien und Gesamtschulen zu später Stunde noch eine Spontandemo zum Tauentzien und zum Europa-Center.
Es war dies bereits die zweite Räumung des Kollegs. Schon der ersten Besetzung Dienstag mittag hatte die Polizei bereits wenige Stunden später ein Ende bereitet. „Die Stimmung ist aber trotzdem sehr gut“, sagt eine Frau im Info -Büro. „Für mich ist klar, daß wir hier so lange streiken werden, wie an der Uni gestreikt wird.“ Nach der zweimaligen Räumung steht eine weitere Besetzung des Kollegs jedoch nicht mehr an. Der stellvertretende Kolleg-Leiter Zegan präsentierte den Kollegiaten gestern einen Kompromiß. Das normalerweise gegen 14 Uhr schließende Gebäude soll den streikenden Schülern bis 20 Uhr, am Freitag bis 22 Uhr zur Verfügung stehen. Im Gegenzug verzichten sie auf weitere Besetzungsversuche und den „Masseneinmarsch“ kollegfremder Personen. Nach kurzer Diskussion nahmen die Schüler den Vorschlag an.
„Wir hatten beschlossen“, so eine Kollegiatin, „daß wir heute in AGs arbeiten wollten, und das schließt eine Massenfete eh aus.“ In den selbstbestimmten Arbeitsgruppen wollen die Schüler vor allem über ihre konkreten Forderungen diskutieren. Ein zentraler Kritikpunkt ist die völlige Verschulung des Lernens am Kolleg. Statt dessen verlangen sie erwachsenengerechten Unterricht.
Darüber hinaus geht es auch sehr stark um übergreifende Fragen des Bildungssystem im gesellschaftlichen Zusammenhang. Studienplätze, billiger Wohnraum für alle, mehr Bafög für Schüler des Zweiten Bildungsweges und die Rücknahme der Abi-Reform stehen in dem Forderungskatalog der streikenden Kollegiaten. „Dies ist ein großer Aufbruch“, so eine Frau aus dem zweiten Semester, „denn in dem völlig verschulten Lehrplan ist für Diskussionen dieser Art sonst überhaupt kein Platz.“
Bert Hoffmann
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