Würzburger Kommandeurtagung: Kopf ab zum Gebet

Der Sonderkorrespondent der taz sah sich die bundesdeutsche Generalität aus nächster Nähe an und hörte die Einschätzung des Verteidigungsministers zu Gorbatschows neuen Abrüstungsvorschlägen  ■  Von Gerhard Zwerenz

Am Mittwoch, den 14. Dezember 1988 erzeugte meine Frau Ausbrüche von Heiterkeit bei Anrufern, die nach mir verlangten und erfuhren, ich befände mich in Würzburg zur Kommandeurtagung der Bundeswehr.

Nun bin ich als Obergefreiter a.D. der Wehrmacht a.D. gewiß Militärfachmann genug, um, als Presse verkleidet, die Interessen der internationalen Pazifisten-Armeen wahrzunehmen. Durch einen Presseausweis legitimiert, den das Eiserne Kreuz und mein Name schmückte, erlebte ich: eine Bundeswehr, eine Ministerrede, zwei Pressekonferenzen und die unwiderstehliche Freundlichkeit eines Bataillons Presseoffiziere. Außerdem standen mindestens drei Regimenter Feldjäger im Einsatz herum, es können aber auch als Soldaten verkleidete Models gewesen sein, so jung, schmuck, smart und babyhaft sauber sahen die Jungs aus. Das kalte Kriegsmanöver fand im weiträumigen Hotel Maritim und angeschlossenen Architekturen statt. Motto: Bundeswehr 2000 Herausforderung und Wandel.

Von Wandel war nichts zu spüren, der Herausforderer hieß Würzbach und setzte seinen Minister höflich lächelnd schachmatt. Bald wußte ich nicht mehr, befand ich mich in Würzburg oder Würzbach? Dieser austretende Staatssekretär, der nach einer großen Karriere von lauter Fehltritten aus Versehen zuletzt so vernünftig war, dem deutschen Volk Ruhe vor tieffliegenden und abstürzenden Militärtodeskommandos zu versprechen, und zwar bis zum 2.Januar 1989, womit er den Unwillen seines Ministers erntete, dieser Herr Würzbach also war die eigentliche Sensation der Kommandeurtagung. So leicht ist unsere Bundeswehr umzufunktionieren. In des Ministers Pressekonferenz fragte die Presse nur nach dem widergespenstigen Staatssekretär, denn Personalfragen gehen über so Bagatellen wie Auf- und Abrüstung. Weil mir der Professor Scholz leid tat, stellte ich als erster eine Frage zur Sache. Es gab einen dumpfen Schlag. Doch Scholz war nicht explodiert, nur ein mitfühlen des Mikrophon vom Konferenz tisch gefallen.

Meine Frage war, ob wegen der bestehenden Asymmetrien nicht auch der Westen gewisse Überrüstungen verringern müsse, worüber der Minister sich in seiner Rede vielsagend ausgeschwiegen habe. Erst auf mein Nachhaken gestand Scholz die maritime Überrüstung der USA ein, die er im selben Atemzug mit der geographischen Lage entschuldigte. Für die Luft verneinte er westliche Überlegenheit. Und den Sowjets gestand er militärische Folgerungen aus deren geostrategischer Lage gar nicht erst zu.

Derart parteitagsdumm waren die gehaltenen Reden der Tagung. Man nehme alle alten Adenauer-Klischees, streue ein paar zeitgemäße Verbeugungen vor Gorbatschow dazwischen, und fertig ist der Scholz-Lack: „Allerdings muß man (...) sehen, daß auch Gorbatschow nicht bereit ist, die kommunistische Ideologie und ihren weltrevolutionären Anspruch aufzugeben.“ Hört, hört. Zwar rüsten die bösen Russen ab, aber: „Wir müssen uns daher klar darüber sein, daß die politisch -strategische Herausforderung des Ost-West-Gegensatzes und die geistig-ideellen Gegensätze fortbestehen werden“, kurzum, die Sowjets bleiben „unverändert klassenkämpferisch“, wir aber sind eine „geteilte Nation“, die sich wiedervereinigen will. Nicht mit Waffen, sondern mit Friede, Freundschaft, Eierkuchen natürlich.

Noch was aus der Scholzschen Garderobe alter Hüte: „Gorbatschow will die Auseinandersetzung mit dem Westen auf der Grundlage der kommunistischen Ideologie (...) .“ Wozu dienen unsere freiheitlichen Nuklearwaffen? Bitte: “ (...) zum Zwecke der Kriegsverhinderung oder Kriegsbeendigung.“ Tatsächlich, das steht so da: „Kriegsbeendigung“. Die wollen erreichen, was der Wehrmacht unseligen Angedenkens nicht gelang - den Sowjets ein Kriegsende zu diktieren. Das ist Wahnsinn mit Methode: „Die Nato braucht auch weiterhin ein funktionsfähiges Potential von Nuklearwaffen (...) .“ Und „eine dritte Null-Lösung (...) kann und wird es nicht geben“, denn es kommt darauf an „die strategische Handlungsfreiheit zu erhalten“.

Wer von der Ministerrede noch nicht bedient wird, kann sich von der Rede des persönlich netten Generalinspekteurs Wellershoff zu Ende bedienen lassen: „Finanzielle Enge und rapide schlechter werdende personelle Rahmenbedingungen öffnen ohnehin die Schere zwischen Auftrag und Mitteln (...) . Der Kern unserer Zukunkftsproblematik liegt jedoch in der drastisch abgesunkenen Bereitschaft, für die äußere Sicherheit und Souveränität einzutreten, Opfer zu bringen beziehungsweise Lasten zu tragen (...) .“

Ihr Opfer von Ramstein und Remscheid, hört gut zu. Ihr opfert Euch nicht gutwillig genug. Überhaupt ist das deutsche Volk unzuverlässig bis zur Wehrunwilligkeit: „Nur ein Drittel der Soldaten in der Grundausbildung meint, daß die Demokratie notfalls unter Einsatz des Lebens verteidigt werden muß (...) . Von zehn politischen Aufgaben, die Deutsche für wichtig halten, rangiert militärische Sicherheit auf dem letzten, Abrüstung auf dem fünften Platz (...) . Nur ein Viertel der Frauen und Abiturienten äußert sich positiv über die Bundeswehr.“

Mein Gott, was soll aus so kriegsunlustigen Deutschen werden? Antwort: Das deutsche Volk ist 1. besser als sein schlechter Ruf und 2. besser als seine politmilitaristische Führung. Dies meine gesicherte Erkenntnis von der Würzburg -Würzbacher Kommandeurtagung.

Wobei einem die BW-Kommandeure leid tun können. Das Treffen hätte auch bei der Volksarmee so stattfinden können. Im antisowjetischen Mißtrauen sind beide Armeeführungen vereint. Staatsfragen eskalieren zu Hofstaatsfragen. Ein gelernter ungedienter Jurist erläutert den verdutzten Kommandeuren den Soldatenalltag. Scholz beim Reden zuzuhören macht den Verlust erst plausibel, den der Tod des FJS uns brachte. FJS brüllte alte Unwahrheiten so heftig heraus, daß sie wie neue Weisheiten zu funkeln begannen. Scholz trägt, was schon hundertmal falsch gesagt worden ist, zum hunderteinten Male genauso lasch und falsch vor. Der Generalist läßt unter seinen Generalen kein einziges Klischee aus, unter Hinzufügung neuer Klischees. Landsleute, kauft Regenschirme, unter dieser ministeriellen Herrschaft wird's noch viele Katastrophen vom Himmel regnen. Wenn unsere Kommunen nicht von Tieffliegern terrorisiert werden wollen, werden sie sich Heimatflakbatterien anschaffen müssen.

Diese Bundeswehr tut mir im tiefsten Herzen leid. Sie hätte an ihrer Spitze ein paar tüchtige Gegen-Mitspieler Gorbatschows verdient. Wenigstens einen Minister, der die Zeichen der Zeit zu deuten versteht und kapiert, daß nicht nur die SU, sondern die ganze Welt im Zeichen der Perestroika steht. Statt dessen wird diese uns so teure Armee auf alte Fronten und gestrige Kriege eingeschworen, das heißt auf neue Niederlagen programmiert. Wie mir Bundeswehrsoldaten berichten, stehen neben ihrer Kaserne Wegweiser mit Kilometerangaben nach Königsberg, Danzig und Moskau.

So hätten sie's gern, und: Es war einmal. Schade nur um die mehr als 50 Milliarden, die jährlich in eine alte Knochenmühle gesteckt werden. Dabei ließe sich aus der Bundeswehr eine moderne Armee schaffen, mit Selbstreduzierung, Friedensbestärkung, Abrüstung als strategischer Aufgabe. Davon, was uns wirklich blüht, vermittelte die Würzburger Tagung keinen blassen Schimmer. Es war eine Welt vermiefter, vermuffter Fundamentalisten von vorgestern. Die Grünen fehlten, selbst ein blasser Gedanke an die SPD erschien wie ein revolutionärer Akt. Zwei hohe Armeepfaffen lächelten verlegen an Generalstischen herum. Ich will CDU/CSU nicht beleidigen, indem ich das Ganze als ihr ideologisches Volk-ans-Gewehr-Unternehmen klassifiziere, doch ihr Kanzler gab den dumpfen Ton an zum Marsch in die verkehrte Richtung. Deutschland wie gehabt. Ich weiß nicht, wie auf russisch das Gegenteil von Perestroika heißt. Auf deutsch heißt es Scholz. Dieser Bundeskanzler scheint durch Biedenkopf so dauergeschockt zu sein, daß er seine Rache am Stand der Professoren so dauerhaft wie kalt genießen will.

Also sucht und findet er seine Opfer. Doch warum lassen die Militärs sich das gefallen? Ach ja, ich weiß, der Primat der politischen Führung. Auch das hatten wir schon mal. Es ist immer noch der alte Zapfen, der da gestrichen wird: Kopf ab zum Gebet. Kujonierte Opportunisten funktionierten wie gutgeölte Waffen.

Im Pressetroß sitzen indessen schon wohlmeinende Stichwortgeber. Einer verlangte die Einführung eines Wehrbeauftragten für positive Meldungen. Da schwang Scholz sich zur größtmöglichen zwergenhaften Liberalität auf. Der Wehrbeauftragte, dozierte er, offenbare eben mit seinem alljährlichen Bericht das Positive der Bundeswehr, denn wenn es Beschwerden gebe, so gebe es viel mehr Nichtbeschwerden. Das sei das Positive.

Welches Denkmodell wir gewiß begreifen: Die hundert toten Zivilisten, die die Nato uns in diesem unserm Land 1988 schenkte, beweisen das Überleben von Millionen Deutschen.