Gedenkstunde für Sinti im Reichstag

50.Jahrestag von Himmlers „Erlaß zur Bekämpfung der Zigeunerplage“ / Bundestagsvizepräsident Westphal übt Kritik an der „Fortsetzung der nationalsozialistischen Denkweise“ in unserer Zeit  ■  Aus Berlin E. Hase-Mihalik

Aus allen Teilen der Bundesrepublik waren Sinti und Roma gestern zu einer Gedenkstunde im Berliner Reichstag zusammengekommen. Anlaß war der 50.Jahrestag von SS-Führer Himmlers „Runderlaß zur Regelung der Zigeunerfrage“, der, im Dezember 1938 verabschiedet, für 500.000 Sinti und Roma den Tod bedeutete. Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, erinnerte nach einer Schweigeminute daran, daß mit diesem Erlaß, der „die endgültige Lösung der Zigeunerfrage ... aus dem Wesen der Rasse heraus“ proklamierte, die Grundlagen für den Völkermord an Sinti und Roma gelegt worden sei.

Genau gestern vor 46 Jahren, am 16.Dezember 1942, trat der „Auschwitz-Erlaß“ in Kraft, der die Deportation der deutschen und europäischen Sinti und Roma in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau anordnete. Romani Rose, der in seiner Rede auch die aktuellen Menschrechtsverletzungen in anderen Teilen der Welt kritisierte, schloß mit den Worten, daß es „Vermächtnis“ aller Opfer des Nationalsozialismus sei, „auf jede Form von Rassismus und Verfolgung von Menschen und Minderheiten zu achten“.

Große Beachtung fand die engagierte Rede des Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages, Heinz Westphal (SPD), der herausarbeitete, daß die Denkweise der Nationalsozialisten auch nach Kriegsende noch fortwirkte. Er bezog sich dabei auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1956, wo die Frage des Verfolgtenstatus geklärt werden sollte, und wo es heißt, daß „die getroffenen Maßnahmen (gegen die Sinti und Roma, d. Red.) allein im Zusammenhang der Bekämpfung des Zigeuenerunwesens“ gestanden hätten.

Westphal: „Mit Bitterkeit muß man feststellen, daß den Richtern damals nicht auffiel, daß sie selbst den Begriff 'Zigeunerunwesen‘ kommentarlos übernahmen.“ Damit sei über Jahre mit Erfolg versucht worden, den Verfolgten die ihnen zustehende materielle Entschädigung vorzuenthalten.

Angesichts dieser Praxis könne die Selbstzufriedenheit der Bundesregierung in ihrem 1986 vorgelegten Bericht nur erstaunen. Dort heißt es: „Die Wiedergutmachung kann insgesamt als eine historisch einzigartige Leistung angesehen werden, die auch die Anerkennung der Verfolgtenverbände im In- und Ausland gefunden hat“.

SPD-Vorsitzender Vogel knüpfte in seinem Grußwort an Westphals Kritik an und forderte unter Beifall „eine schnelle und unbürokratische“ Entschädigungsregelung für die Sinti.

An der Gedenkveranstaltung nahmen unter anderem Otto Schily, die Fernsehjournalistin Lea Rosh, die ÖTV -Vorsitzende Monika Wulf-Mathies und Vertreter der Polizeigewerkschaft teil.