Seh'n oder Nichtseh'n

■ Spiel drei ohne Null: III nach 9: Statt Heidi Schüller Renee Zucker

Wie schreibt man über eine Fernsehsendung, die man nicht von vorn, sondern von hinten gesehen hat? Nicht am Bildschirm, sondern im Studio sitzend? Immer das Ganze im Blick: die konzentrierten Kameraleute, die Nervosität von Mitwirkenden, die sich die schweißnassen Hände an ihren Gewändern abwischen, was man als Zuschauer ja nie zu sehen bekommt; wenn man sieht, wie einer der vier III-nach-9-Redakteure mit stummen Regieanweisungen die Gespräche beendet und, nach einem gelungenen Gespräch, die neue Moderatorin vor Freude umarmt. Wie schreibt man darüber, wenn man kurz vor Beginn der Sendung auch noch erfährt, daß sich die III-nach-9 -Redaktion endlich berappelt hat und als künftige Moderatorin statt Heidi Schüller Renee Zucker verpflichten will, die Verstandes-und Augenweide aus Berlin?

„Hier kriegst Du ja gar nichts mit. Da kannst Du nichts Giftiges schreiben“, prophezeite mir jemand im Kaminsaal des Parkhotels, kurz vor Sendebeginn. Und ich bekenne: Er behielt recht. Ein Schleier der Milde breitete sich über meine Wahrnehmungsfähigkeit aus, gewebt aus der Freude darüber, daß es mit Renee Zucker als Moderatorin in III nach 9 wieder aufwärts gehen könnte: Ihre beiden Gespräche - eins mit Rudolf Kawczynski, dem Vorsitzenden der Roma und Sinti -Union und Spitzenkandidat der Grünen für das Europaparlament; das andere mit der Sängerin Deborah Sasson

-zeigten, bei aller mitschwingenden Nervosität, daß da endlich mal eine Frauensperson sitzt, die neugierig und klug zu fragen versteht, wo es angebracht ist, die kiebig, klatschsüchtig und unterhaltsam sein kann, sobald es um Show -Themen geht. Daß der etwas maulfaule Sinti eigentlich herzlich langweilig war und nicht gerade eine Leuchte, fiel erst am Ende so richtig auf, als er sich - gegen den aalglatten Feindbild-Leugner und Tiefflug-Verteidiger Klaus Francke von der CDU - um Hirn und Zunge redete.

Wolfgang Menge vergeigte sein Gespräch mit Irene Runge, der Soziologin aus der DDR. Von dieser souveränen, schlagfertigen Frau hätte man weitaus mehr erfahren und erfragen können, als Menge offenbar für nötig hielt. Wir haben schließlich nicht alle Tage im Fernsehen Gäste aus der DDR. Warum muß man dann, wie Menge, ironisch tun, die Position des „kalten Kriegers“ mimen und damit die Klugheit und den Witz dieser Frau beständig unterfordern? Karl Lieffen und der mordstrunkene Alfred Hrdlicka durften sich hingegen im Gespräch mit Michael Geyer ins Uferlose selbstdarstellen. Vom flegelposierenden, bullrigen Hrdlicka

-den ich immer nur von hinten im Sessel rudern sehen konnte -, hat man nun wirklich jeden Satz schon tausendmal gehört. Und wenn er zu Beginn des Gesprächs noch blökte, „das sind hier ja keine Gespäche, das sind nur Interviews“, dann kam genau dies ihm sehr entgegen: Sein Metier ist der nicht endenwollende Monolog, und den hatte er ja auch, wie überall. Zu bedauern war nur Geyer, der ohne Pause, nach Hrdlickas Selbstgespräch, den ebenfalls monologsüchtigen Francke aus der entgegengesetzten politischen Ecke befragen mußte: Bei diesem Apologeten der militärischen Verteidigung geriet der ganze Saal in Wallung, obwohl man sich doch denken kann, was diese Leute denken. Plötzlich jedoch schlug die Stimmung um und der allseits gefledderte Francke bekam Applaus. So ist das halt in Talkshows: Es kann einer noch so verlogen daherpolitisieren - er wird zum armen Kerl, sobald sich einmal die Stimmung gegen ihn kehrt.

Sybille Simon-Zülch