Swinging Metropolis: 10. Berlin wird bunt

Und noch immer, verdammt noch mal, weiß keiner, was das eigentlich ist: Jazz, Yazz, Jass oder Yass! John Philipp Sousa kann auch nix Gescheites berichten. Er, der die Welt mit Märschen zudrömmelt, mag ja nicht einmal den Ragtime, spielt ihn so selten wie möglich. Später stellt sich sogar heraus, daß er die neue Hektikermusik hassen tut. Danach befragt, fallen ihm nur skurille Blödheiten ein, dergestalt, daß er des Rags Ursprung in Westindien vermute und den „Jazzbo„-Dschäß als Nachfahre der Minstrels sehe, in dem jeglicher Krach nebst sinnentleerten Wasserspritzereien erlaubt und Usus sei. Die Presse frißt das alles und verwirrt, was das Zeug hält. In 'The Sun' erscheint am 4. 11. 1917 ein Artikel „Jazz, Ragtime By-Product, Revives A Lost Art Of Rhythm“, in dem es unter anderem heißt, daß die Dolly Sisters, Janszi und Roszika (zwei ZiegfeldGirls weißer Hautfarbe), den „Jazz“, nach dem ihre Schinken vibrieren, aus Kuba mitgebracht hätten. Horst H. Lange: „Dieser Artikel wurde Grundlage für etliche Theorien, und 1939 von Marshall Stearns und anderen Kritikern ernsthaft als Beweis für die negroide Abstammung des Jazz herangezogen, da die Dolly Sisters den 'Jazz‘ von kubanischen Farbigen gehört hätten.“

Josephine Baker ist ja nun negrissimo genug, sollte man meinen. Dennoch hat sie mit jener heute so akribisch akademisierten Musikform gar nichts an der ondulierten Sechserlocke. (Wenn Schwarz gleich Jazz wäre, dann müßten ja schließlich Roberto Blanco oder Roy Black... - ach nee.) Sie interpretiert halt Schlager, und die High Society dankt's ihr. Allerdings übersehen und überhören die Tigers und Raubkatzen der europäischen Salons so einiges. So erstmal ihren heute viel zu vergessenen Partner Louis Douglas, in tänzerischer Perfektion dem schicken braunen Brillanten Baker überlegen, - vor allem aber lenkt die quirlige Optik ab von der großartigen Begleitung des späteren Swingpianisten und Bandleaders Claude Hopkins, in dessen Orchester ein potentieller Superstar, heute Abgott so manchen Fans, kräftig das Sopransaxophon bedient: Sidney Bechet. Erstmals auffällig in der Truppe des klangvollen Namens Will Marion Cook's Southern Syncopated Orchestra dröhnt er sich in musikalische Berliner Herzen und feiert im Palmengarten des Haus Vaterland große Erfolge, beruht die Rezeption auch auf leichtem Mißverstehen. Mit seiner lautstarken Tröte wird er als sensationelles Kuriosum empfunden, geradezu „urwaldmäßig“ inmitten der Tropengewächse. Hören wir heute seine alten Aufnahmen, wissen wir seine enorme Musikalität auf angemessener Ebene zu schätzen.

Nu aber endlich mal ein Hiesiger, Eric Borchard, der Jazzpionier. Gern bezeichnet er sich als Deutsch-Amerikaner, und tatsächlich kommt er durch seine Beziehungen zu den USA an die richtigen Noten. Seine Band beginnt bereits zu imporivisieren, löst sich bei den Auftritten in Scala -Casino und Mercedes-Palast auffallend vom starren RagSchema. Seine ersten Schallplattenaufnahmen, 1920 bei der Billigfirma Polyphon, sind jedoch technisch so miserabel, daß er es vorzieht, aufs Label Eric Concerto's Yankee Jazz Band drucken zu lassen. Wohl hört man Borchards Instrument vom ersten bis zum letzten Ton durchspielen, im Hintergrund aber tobt ein völlig durcheinandriger, verschwiemelter Klangkörper. Das ändert sich, als die Deutsche Grammophon ihn engagiert; fortan avanciert er mit seinen Mannen zum ambitioniertesten Jazztanzorchester Berlins. Das geht bestens bis zirka 1925, dann werden ihm die wertvollsten Musiker abgeworben, und sein persönlicher Verfall setzt ein. Von Drogen gebeutelt, sieht er sich dann fünf Jahre drauf in einen Skandal verwurstelt, da eine süchtige Flippibraut in seinem Hotelzimmer stirbt. Ein wenig tingelt er noch, mit Tanzmusik pur, um dann dem Mädel zu folgen; im Januar 1934 nimmt er sich in Straßburg das Leben.

War im Satz eben von Tanzmusik die Rede, so ist richtigzustellen, daß hier kein Widerspruch zum Jazz besteht. Beides, wollen wir hier keinen verkniffenen Purismus pflegen, war ursprünglich Pop, gleichzeitig und andererseits scheint manches musikalische Experiment, das heute mit dem Begriff „Jazz“ operiert, zumindest in diesem Sinne fragwürdig.

Norbert Tefelski