Agonie, Ekstase und ein kleines Grinsen

Das bundesdeutsche Team gewinnt den Tennis-Davis-Cup gegen die schwedische Mannschaft / Uneinholbare 3:0-Führung bereits am zweiten Tag des Finales nach Siegen von Steeb, Becker und im Doppel / Charly Steeb nach sensationellem Erfolg der Vater des Sieges  ■  Aus Göteborg Matti Lieske

Die Agonie des Anders Jarryd währte drei Sätze. Mit einer komfortablen 2:0-Führung (6:2, 6:3) waren er und Stefan Edberg in den dritten Durchgang des „Dubbelmatchen“ gegangen. Jarryd gewann noch ein einziges Mal mühevoll sein Service und dann nimmermehr. Sechs Aufschlagspiele gab die Nummer Eins der Doppelweltrangliste in der Folge ab und wurde damit zum endgültigen Stolperstein der schwedischen Davis-Cup-Träume. Mit 5:7, 3:6, 2:6 gingen die nächsten drei Sätze an das bundesdeutsche Doppel Becker/Jelen, die schwarzrotgoldenen Fähnchenschwinger-Exklaven auf den Rängen gerieten in helle und lautstarke Ekstase, die Sensation war perfekt: es stand 3:0. Schon am zweiten Tag des Finales hatte sich das BRD-Team den Davis Cup gesichert.

Nach dem Match schaute Jarryd, der Schwede mit den traurigen Augen, noch eine Spur betretener drein als sonst. „Es kann sein, daß ich Probleme mit dem Aufschlag hatte“, mutmaßte er vorsichtig, während ihn Partner Edberg, der nach Kräften versucht hatte, sich für sein vermasseltes Einzel gegen Becker zu rehabilitieren, anschaute wie eine lästige Fliege. Doch so unglücklich Jarryd auch spielte, die Grundlagen für das schwedische Debakel waren am Vortag von Mats Wilander gelegt worden.

Dabei verdiente der zu allererst einmal Dankbarkeit. Im Keim hatte er das Ansinnen des Deutschen Tennis Bundes (DTB) erstickt, den Schweden das Heimrecht für das Finale abzukaufen, indem er kategorisch erklärte, dann nicht antreten zu wollen. Gespielt wurde also in Göteborg, auf rotem Sand, und nach dem Aufschlaggebolze in den drei auf hyperschnellen bundesrepublikanischen Plätzen ausgetragenen Begegnungen gegen Brasilien, Dänemark und Jugoslawien war es eine Freude, endlich wieder richtiges Tennis zu sehen. Niemand hatte allerdings ahnen können, daß dies ausgerechnet Mats Wilander zum Nachteil gereichen würde. Auf ihn vor allem war die „Sandkiste“ im Scandinavium zu Göteborg zugeschnitten, er sollte zwei sichere Punkte holen, der dritte würde dann schon irgendwo herkommen.

So war das Eröffnungsspiel Wilanders gegen Carl-Uwe Steeb eigentlich nur als kleiner Aufgalopp für den vermeintlichen Knüller des Tages, Becker - Edberg, vorgesehen, Doch es kam genau umgekehrt. Während Becker später den Weltranglistenfünften Stefan Edberg mühelos 6:3, 6:1, 6:4 abfertigte, spielte Steeb (Platz 74 der Weltrangliste) gegen Wilander (die Nummer eins) das Match seines Lebens. Zweimal durfte Wilander im fünften Satz bei eigener Führung zum Matchgewinn aufschlagen, zweimal nahm ihm Steeb den Aufschlag ab. Und hatte plötzlich selbst Matchball. „Unbeschreiblich“ sei das Gefühl gewesen, als der gelbe Filz auf einmal in hohem Bogen auf ihn zusegelte und er nur noch diesen leichten Ball verwandeln mußte, um den großen Wilander auf dessen Boden in dessen Heimat zu besiegen. „Hau die Scheiße aus ihm raus“, sei sein einziger Gedanke gewesen, was auf Englisch, wie es gesagt wurde, nicht ganz so ordinär klingt. Gesagt, getan, der Ball sprang nach dem Schmetterball fast bis ans Hallendach, und die Sensation war perfekt: Steeb - Wilander 8:10, 1:6, 6:2, 6:4, 8:6.

Der Schwede gab später freimütig zu, seinen Gegner unterschätzt zu haben: „Er hat weniger Fehler mit der Rückhand gemacht, als ich erwartet hatte.“ Außerdem habe der Deutsche sehr variabel gespielt, so wie es sonst eigentlich eher seine, Wilanders, Art sei.

Der Schlüssel zum Match lag am Anfang des dritten Satzes. Steeb hatte den zweiten Satz 1:6 verloren und schien psychisch am Ende zu sein. Die Bälle fielen ihm beim Aufschlag aus der Hand, er begann zu hadern und machte einen überaus deprimierten Eindruck. Von da an spielte Wilander bis zum Schluß so, als könne er überhaupt nicht verlieren: defensiv, ohne Risiko, unkonzentriert. „Ich habe den zweiten Satz zu leicht gewonnen“, meinte er später, „ich dachte, ich könnte einfach so weitermachen.“

Doch wider Erwarten erholte sich Steeb. Ein taktischer Irrtum Wilanders, der allerdings nicht darüber hinwegtäuschen kann, daß der Weltranglistenerste weit von seiner Bestform entfernt ist. Er verschlug erheblich mehr Bälle, als es sonst seine Art ist, und am Schluß fehlte ihm, wie er eingestand, „jene Extrakraft, die man braucht, um solch ein Match zu gewinnen“.

Steebs uneingeplanter Triumph stellte die Weichen für den Gesamtsieg, und während Schwedens Coach Hasse Olsson diesmal eine in allen Belangen - Bodenwahl, Einzel- und Doppelbesetzung - äußerst unglückliche Hand bewies, konnte sich vor allem ein Mann feiern lassen: der bundesdeutsche Teamchef Niki Pilic. Er habe fest an Steeb geglaubt, und einige hätten darüber gelächelt, frohlockte der gestrenge Jugoslawe: „Jetzt lache ich.“ Was er dann als alter Griesgram natürlich doch nicht tat. Er grinste nur verhalten. Und das war mehr, als man eigentlich erwarten konnte.