Wie man einem toten Hasen Bilder erklärt

■ Zwei Beuys-Ausstellungen in Bielefeld

Von Berlin aus gesehen rechterhand, seitab der Magistrale, die irgendwo im Ruhrgebiet endet, befindet sich kurz hinter Hannover und dem wesentlich kleineren Herford die nordrhein -westfälische Flachbautenstadt Bielefeld. In der monomanen Erstarrung von Wohngebilden zwischen Weihnachtsmarkt und wegweisenden Bungalowfluchten mutet schon die Anwesenheit eines Museums für Moderne Kunst und einer rührigen Galerie wie ein „Schläfer erwachet„-Ruf aus einer anderen Kulturzeit an.

Diesen Eindruck komplettieren die aktuellen Exponate: In der Galerie Samuelis Baumgarte und in der Städtischen Kunsthalle, dem Richard Kaselowsky Haus, ist Joseph Beuys zu besichtigen.

Die späte Druckgraphik in der Galerie präsentiert drei Serien und einige Einzelblätter von Beuys: Die Folgen Schwurhand, Zirkulationszeit und Tränen mit insgesamt 53 Blättern.

Das OEuvre ist in unterschiedlichen Techniken wie Radierung, Aquatinta und Lithographie ausgeführt und weist in konziser Form Beuys als meisterhaften Gestalter seiner esoterischen Botschaft vom „ganzheitlichen“ Menschen aus. Die zeichnerischen Notate des Secret block for an secret person in Ireland, die die Kunsthalle vorstellt, bilden mehr als dreizig Jahre (1945 - 76) seines künstlerischen Schaffens ab. Beuys hat diese Blätter über die Jahre beiseite gelegt, sodaß ein ästhetisch disparater, anorganischer Zyklus entstand. Das erklärt sich sicher auch daraus, daß die Zeichnungen oft genug als Skizzen oder Kommentare zu Aktionen des Künstlers gemeint waren. Unter den Zeichnungen, Entwürfen und Collagen finden sich „rarissimae“ wie das in Plastikfolie eingeschweißte Hasenblut von 1971 mit dem typischen Beuysstempel, ein Dokument im Grenzbereich von Plastik, Performance und rahmbarer Kunst. Die privaten Mythologeme, die für die Beuysschen Happenings wichtig werden, finden sich in der Ikonographie der Zeichnungen sämtlich wieder.

Allerdings wird in Bielefeld nichts gezeigt, was nicht schon einmal zu sehen gewesen wäre. The secret block for an secret person in Ireland ist eine Übernahme der Ausstellung, die zuletzt im Martin-Gropius-Bau in Berlin Furore machte, und auch Die späte Druckgraphik tourte durch die Republik.

Vielleicht wird gerade im perfekten Arrangement beider Ausstellungen ein selten wahrgenommener Aspekt des Beuysschen Werkes deutlich: Hinter all den „geheiligten“ Symbolen der sehr privaten Mythologie leuchtet oft ein enormer Sprach- und Bildwitz auf. Dieser „stille Mann“, der seine Arbeiten ohne Titel ersatzweise mit einem stillen waagerechten Strich mit angeschlossenem Fragezeichen versehen ließ - die Titelkarten neben den Zeichnungen formieren sich wie zu einer eigenständigen Druckgraphik war vermutlich humorvoller, als seine Verehrer wahrhaben wollen.

Nehmen wir nur Titel wie Ameisenmonument (1959), Fallende Frau und fallendes Butterfaß (1960) oder In ein Haus einschlagender Meteor und drei Düngerhaufen (1961). Die 3 Kopfbaldachine für drei Männer unter überzeltetem Filzwinkel (1965) vereinen alle Momente eines gelungenen Sprachkalauers mit der entsprechenden illustrierenden Zeichnung.

Oder: Die Frau zeigt dem Mann ihr Bauwerk, Acteur und Actrice (1960), was in der Tat stimmt, denn man kann sehen, wie gut gebaut sie ist. Oder: Die Akrobatin (1961), die einer gestrauchelten Skischülerin ähnlich sieht. Oder: Die Serie Brown Babies (1959), die wie fötale brown muffins über den Karton rollen.

Der Witz resultiert aus der Spannung zwischen Titel und Darstellung, wenn man sich ihr nur unvoreingenommen überlassen will. Die intellektuelle Ansicht, immer und überall die Weltentwürfe des Meisters zu dechiffrieren, ist dabei eher hinderlich.

Vielleicht ist diese Lesart aber auch eine Form der Annäherung, die Beuys gefallen hätte, weil sie die verlorene Gemeinschaft wiederherzustellen weiß mit Hase, Hirsch und Spermwal, die - so Beuys (1974) - „mehr wissen als die Menschen mit ihrem sturen Rationalismus“. Stoeber/ Arnd

Kunsthalle Bielefeld:

bis zum 26.02.1989

täglich von 11 - 18 Uhr

Donnerstag von 11 - 21 Uhr

Montag geschlossen

Galerie Baumgarte, Am Bach 1b:

bis zum 8.01.1989

Dienstag - Freitag: 15 - 20 Uhr

Samstag: 10 - 13 Uhr

Sonntag: 11 - 13 Uhr und nach Absprache

Telefon: 0521/ 17 35 32