Die Kakteen bleiben

■ Zum Filmfestival in Kairo

Schrille Musik, lärmende Nachtclubs in der Flimmerwelt von Tel Aviv - und Schnitt. Ein alter Araber betritt die umzäunten Felder seines zerstörten Dorfes. Das hebräische Verbotsschild kann er nicht lesen. Dennoch dreht er sich ängstlich um. Das Haus, in dem er vor 40 Jahren gelebt hat, existiert nicht mehr. Überall blühen mannshohe Kakteen, deren Früchte verfaulen. „Wenn du Kakteenbäume siehst, weißt du, daß da ein Ort war. Man kann alles zerstören, die Kakteen aber, deren Früchte wir aßen, bleiben.“

Am Jahrestag der Intifada kamen auch die ansonsten unpolitischen Organisatoren des 12.Kairoer Filmfestivals (5. -18.12.) nicht vorbei. Vier Filme zum Aufstand der Palästinenser wurden Freitag und Samstag gezeigt. Gilles Dinnemartin läßt in seinem Dokumentarfilm Les figuiers de la barbarie - ont-ils une ame? israelische Araber von ihrem Leben unter der Besatzung erzählen.

Sein eigentliches Thema aber ist: Wie haben die Ereignisse seit 1948 das Land verändert, was geschah mit Dörfern, deren Bewohner vertrieben wurden? Die Situation unmittelbar vor Beginn der Intifada stellt auch Nazim Gagarin Sharidi in seiner neunteiligen Dokumentation Hot Palestinian summer dar. Das Leitmotiv dieses Films ist jedoch eher ein propagandistisches. Gagarin beginnt mit einem unseligen Vergleich: Geschichte wiederhole sich manchmal. Die Opfer des Holocaust nun selbst als Täter?

Aber falsche Vergleiche lassen sich auch in einem vierstündigen Film nicht beweisen. Dann zeigt Gagarin sehr deutlich und bis ins Detail das tägliche Leben unter der israelischen Besatzung. Der Film dokumentiert, wie unausweichlich es zu einem Aufstand kommen mußte. Da ist die alte Mutter, deren vier Söhne allesamt im Knast sitzen. Da ist der blinde Junge, der von Soldaten verprügelt wird, weil er dem Befehl, Parolen von seiner Hauswand zu entfernen, nicht nachkommen konnte. Oder die junge Braut, deren Mann vor der Hochzeitsnacht inhaftiert wird. Eine Menge ohnmächtig-stillen Zornes ballt sich zusammen. Der wütende Ausbruch der Gewalt im Dezember 1987 erscheint als logische Folge.

Mohammed Taufiq braucht keine vier Stunden. Der Wächter, El naatour, sein im November in Tunesien gedrehter Film, ist nur 25 Minuten lang, hat es aber in sich. Es ist Nacht, Abul Khassem, Hausmeister einer Schule, wartet unruhig am Fenster eines Klassenzimmers. Jeeps patroullieren in strömendem Regen durch das Dorf. Soll er es noch einmal wagen? Letzte Nacht hat er Parolen gegen die Besatzer auf die Schulmauer gepinselt. Der Direktor, der an eine Schülertat glaubt, zwingt ihn, sein eigenes Werk zu übertünchen. Die Schüler bewerfen ihn daraufhin mit Tomaten, ein Ball knallt an den Farbtopf. Für sie ist der Hausmeister ein feiger Verräter, ganz klar.

Wenig später werden Schüler und Direktor verhaftet. Jetzt hört der Regen auf. Soll er es wirklich noch einmal wagen? Es ist eine lange schlaflose Nacht, dem Hausmeister geht einiges durch den Kopf: Wie die Besatzer seinen Olivenhain konfiszierten und wie er das erste Mal schrieb: „Keine Besetzung unseres Landes.“ Der Film ist ein einziges in Bilder umgesetztes Gedankenporträt, gesprochen wird nicht. Im Morgengrauen schreibt ein Mann eine neue Parole an die Wand. Dann dreht er sich langsam um, schaut in die Kamera und hält den Atem an. Es ist der Hausmeister. Er weiß nicht, was passieren wird, aber er tat, was er tun mußte.

Wie es weiterging, stellt Monica Maurer in ihrem mittlerweile neunten Dokumentarfilm über die Palästinenser dar: Palestine in flames. Der halbstündige Film, eine Auftragsarbeit für die PLO, zeigt, daß die „Kinder der Steine“ endgültig die Angst ihrer Eltern verloren haben.

Unter den 230 auf dem Festival gezeigten Filmen sind übrigens lediglich neun ägyptische Produktionen, darunter acht alte und schlecht gemachte Verfilmungen von Werken des Nobelpreisträgers Nagib Mahfus. Die ägyptischen Filmemacher, die seit 17 Monaten gegen ein Gesetz protestieren, das die Rechte ihrer Gewerkschaft weitgehend außer Kraft setzt, boykottieren das Festival. „Dies ist nicht unser Festival, damit wollen wir nichts zu tun haben“, sagte ein Sprecher auf einer Protestveranstaltung am Sonntag - fast pünktlich zum Tag der Menschenrechte. Das Gesetz regele, daß der Vorsitzende der Gewerkschaft der Filmemacher weiter im Amt bleibt, obwohl ein neuer gewählt werden müßte. Der Vorsitzende aller drei Künstlergewerkschaften, Sahd ed Din Wahba, hat das Festival organisiert. „Dieser Mann repräsentiert weder uns noch unsere Meinungen“, sagte Salah Abu Seif, der „Papst“ der unabhängigen Cineasten. Die Filmemacher haben beschlossen, eine neue Interessenvertretung zu gründen - neben der alten, die sie als nicht legitim betrachten.

Ekkehard Schmidt