Keine Versöhnung

■ Über den Anfang Dezember verstorbenen Grafiker Gerd Arntz und eine Ausstellung seiner Werke in Köln

Jürgen Schön

Am 4.Dezember starb Gerd Arntz - wenige Tage vor seinem 88.Geburtstag. Er war der letzte Vertreter der „Neuen Sachlichkeit“, letzter Vertreter einer Generation, die politisches Engagement mit neuen künstlerischen Ausdrucksmitteln verband. Unten das betrogene Proletariat, oben die Nutznießer des Kapitalismus, Fabrikanten, Militär, Politiker, Kriegsgewinnler. Diese Polarität prägt in überzeugender Synthese von Inhalt und Form seine Holz- und Linolschnitte: Klare Gliederungen in oben und unten, rechts und links, harte Schwarzweiß-Gegensätze. In den konstruktivistischen Kompositionen Menschen, reduziert auf ihre Umrisse, ohne Individualität: Massenware aus den Fabriken, aber auch politischer Hoffnungsträger. Nur im Kollektiv, nicht als Individuum, kann der Arbeiter seine Lage ändern.

Sparsam angedeutete Details ordnen die Menschen ihrer Klasse zu. Zwischen diesen gibt es keine Versöhnung. Nicht gerade rühmlich schneiden die Intellektuellen ab: In seinem Bild „Wien 1934“ über den Arbeiteraufstand in diesem Jahr sitzt einer zwischen Freikorps-Soldaten und Hitler und hält sich die Ohren zu. So, wie es zwischen den Klassen keine Versöhnung geben kann, tobt auch der Kampf der Geschlechter. Immer wieder zeigt Arntz die sexuelle Ausbeutung der Frau: Bordells, Fleischbeschau vor gesichtslosen Zuschauern auf der Show-Bühne, Revuegirls, die sich im Gleichtakt wie Maschinen bewegen müssen.

Diese Grafiken sind keine Elendsanekdoten, sondern messerscharfe Tatsachenbeschreibungen, Sozialkritik, die für sich spricht, auch Warnung vor den Nazis. Es geht Arntz nicht um Alltagspolitik, seine grundsätzlichen Themen sind neben Arbeitswelt Krieg und Klassengegensätze. Die distanzierte Darstellung ist keine Interesselosigkeit, sondern der Versuch, objektive Gesetzmäßigkeiten der Besitz und Machtverhältnisse in allen Lebensbereichen aufzuzeigen. Die kannte Arntz von beiden Seiten.

1900 wurde er als Sohn eines Werkmaschinen-Fabrikanten in Remscheid geboren. Er wuchs in bürgerlichen Verhältnissen auf, sah aber, „daß nicht alle Menschen so lebten“ wie er. Im letzten Jahr des 1.Weltkriegs wurde er zur Feldartillerie eingezogen. Als sich in seiner Garnison Ende 1918 Soldatenräte bildeten, setzte er sich nach Hause ab, wo er für kurze Zeit als Fräser in der väterlichen Fabrik arbeitete. 1919 begann er in Düsseldorf sein Kunststudium. Politisch schloß er sich den „Spartakisten“ an, las anarchistische Zeitungen wie 'Der Sturm‘ oder den 'Ziegelbrenner‘. Künstlerisch entdeckte er den Expressionismus und den Holzschnitt, er schloß sich der aufsässigen Künstlergruppe „Junges Rheinland“ an. Später fand er Verbindung zur Kölner Gruppe „stupid“ um Heinrich Hoerle, Franz W.Seiwert und Anton Raederscheidt, die hier die „neue Sachlichkeit“ entwickelten und sich später „Gruppe progressiver Künstler“ nannten.

Arntz‘ abstrakt konstruktivistische Grafik wurde figürlich -konstruktivistisch. Und politisch. In der Serie „Bürgerkrieg“ verarbeitete er nicht nur aktuelle Politik, sondern auch seine Erfahrungen aus Militär und Fabrikarbeit. Er veröffentlichte in der 'Proletarischen Revolution‘, der Zeitung der Allgemeinen Arbeiter Union/Einheitsorganisation, deren Mitglied er war. Er arbeitete aber auch für die kommunistische Internationale Arbeiter-Hilfe.

Leben konnte er von seiner Kunst nicht. 1929 zog er mit seiner Familie nach Wien, wo er eine Stelle am Gesellschafts - und Wirtschaftsmuseum erhalten hatte. Hier entwickelte er seine „Bildstatistik“, mit der er „die Wissenschaft demokratisieren“ wollte. Statt abstrakter Grafiken sollten einfache Figuren die Statistik erläutern. Dazu entwickelte er einfache Symbole, Vorläufer der modernen Piktogramme. Zwischen 1931 und 1934 sollte er ein ähnliches Institut in Moskau einrichten, seine Zeichen aber wurden bald als „westlich dekadent“ abgelehnt. Der Terror Stalins blieb ihm nicht verborgen. Dies und seine Erfahrungen mit den Nazis machten ihn zu einem Gegner aller Diktaturen, nicht aber des Sozialismus. In einem Interview sagte er vor einigen Jahren: „Ich möchte die Utopie des Sozialismus erhalten sehen. Aber ich sehe diese Utopie vor lauter Dreck nicht mehr“.

1934 emigrierte er vor den Nazis in die Niederlande. Im selben Jahr entstanden hier seine Bilder „Das Dritte Reich“ und „Rußland 1934“. Beide ähnlich aufgebaut: Unten das Volk, oben Politiker und Militär. Als 1940 deutsche Truppen einmarschierten, vernichtete Arntz seine „gefährlichen“ Schnitte. Freunde besorgten ihm eine Stelle im niederländischen Regierungsbüro für Statistik. 1943 wurde er einberufen, 1944 ergab er sich in Paris der Resistance, 1946 war er wieder in Den Haag, wo er bis zuletzt lebte.

In der Dauer-Schau „Deutsche Grafik“ des Stadtmuseums Den Haag hat Arntz heute einen Ehrenplatz neben George Grosz und Otto Dix. Deutschland dagegen vergaß ihn. Erst 1977 leitete eine Ausstellung im Kölner Kunstverein seine Renaissance ein. Dazu trugen vor allem preiswerte Nachdrucke seines Frühwerks bei. Arntz schätzte diese Siebdrucke wegen ihrer scharfen Schwarzweiß-Kontraste. „Meine alten Grafiken sind schlechte Drucke für Leute mit viel Geld, die neuen sind gute für Leute mit wenig Geld“, meinte er.

Was nach 1950 entstand, überzeugt inhaltlich und ästhetisch weniger. Schon vor 1940 wurden seine Bilder runder, weicher. In kleinen Vignetten illustriert er 1947 Voltaires „Candide“, um „den Tagesereignissen zu entfliehen“. Beeindruckend auch noch sein „Totentanz“ (1950) und „Kolyma“ (1952) für die Opfer der stalinistischen Straflager. Aber in einer Zeit, in der sich die traditionellen Klassen verwischen, sich eine antiautoritäre Jugend den Massenorganisationen verweigert, wirkt seine Analyse antiquiert, seine Kritik fast spießig. So wenn er moderne Kunst attackiert oder den Drogenkonsum der Beat-Generation. Vielleicht spürte er diese Entfernung von der Gegenwart und zog sich deshalb 1970 mit der Begründung zurück: „Ich kann mich nur noch wiederholen.“

In Köln wurde zwei Tage vor Arntz‘ Tod eine große Retrospektive mit 120 Arbeiten eröffnet. Bis zum 28.1.1989 kann sich hier noch jeder von der Ausstrahlung dieser Werke überzeugen. Zur Ausstellung erschien ein umfassender, vom Künstler kommentierter Katalog (Zeit unterm Messer, 48 Mark). Galerie Glöckner, Breite Straße 112, 5000 Köln 1