Sellafield entsorgt Neckarwestheim

■ Noch immer keine Betriebsgenehmigung für AKW-Neckarwestheim2 / Brennstäbe werden in Großbritannien aufgearbeitet / Baden Württembergs Grüne sehen das bundesdeutsche Atomrecht verletzt

Stuttgart (taz) - Bereits im September sollte das „modernste“ und vorerst letzte deutsche AKW Neckarwestheim2 ans Netz gehen. Doch die Alarmmeldungen um den Reaktor reißen nicht ab. Unter dem AKW, so wurde jüngst vom geologischen Landesamt Baden-Württemberg bestätigt, verlaufe der tektonische Riß zweier Erdspalten; durch starke Grundwasserströme sind riesige Höhlen entstanden; jährlich werden 750 Kubikmeter Schlick und Lehm ausgespült. Und jetzt ist auch die Entsorgung ins Gerede gekommen. Im Süddeutschen Rundfunk hatte der Staatssekretär des baden -württembergischen Wirtschaftsministeriums abgestritten, daß die Brennstäbe des AKWs im Ausland entsorgt beziehungsweise wiederaufgearbeitet werden sollen. Doch Staatssekretär Schaufler sagt die Unwahrheit. Auf Anfrage der Bonner Grünen bestätigte das Bundesumweltministerium bereits am 5.Dezember: „Für das Gemeinschaftskraftwerk Neckarwestheim2 wird die Entsorgungsvorsorge über kraftwerksinterne Zwischenlagerung und Wiederaufarbeitungsverträge mit BNFL nachgewiesen“. BNFL ist die Betreiberfirma der britischen Wiederaufarbeitungsanlage Sellafield, früher Windscale, an der englichen Ostküste. 58 Tonnen Brennstäbe, so der Vertrag zwischen Neckarwestheim und Sellafield, sollen zwischen 1994 und 1996 dort aufgearbeitet werden. Sellafield ist die älteste und umstrittenste Wiederaufarbeitungsanlage der Welt. Seit Betriebsbeginn vor über 30 Jahren gab es mehr als 300 zum Teil schwerste Störfälle. Täglich werden vier Millionen Liter leicht radioaktiven Wassers in die Nordsee gepumpt. Experten schätzen die Plutoniumablagerung in der irischen See auf eine Vierteltonne. Die Krebsrate in dem Ort Seascale ist zehnfach erhöht.

Diese Skandalchronik haben die baden-württembergischen Grünen jetzt juristisch bewertet: Würden die Bedingungen des deutschen Atomgesetzes zugrunde gelegt, so ihr Dringlichkeitsantrag, dann wäre eine solche Anlage nicht genehmigungsfähig. Die Grünen wollen erreichen, daß das Atomgesetz auch auf Atomabfälle angewandt wird, die im Ausland entsorgt werden. Das hieße, daß die Entsorgung dort den strengeren deutschen Vorschriften entsprechen müßte. Tut sie dies nicht, ist die im Atomgesetz geforderte „ordnungsgemäße“ Beseitigung atomarer Abfälle nicht gewährleistet. Als Folge könne eine Betriebsgenehmigung für Neckarwestheim2 nicht erteilt werden.

Ob diese juristische Argumentation sticht, bleibt abzuwarten. Der Skandal ist gleichwohl moralischer Art: baden-württembergische Abwässer in der Nordsee, baden -württembergische Sondermüllexporte in die Türkei und nach Schönberg (DDR) sowie baden-württembergisches Plutonium an die englische Küste.

diwi