Zukunft '89 with old Böttcherstreet

■ Nicht mit altbacken sozialdemokratischer Beamtenblödheit wirbt The FREE HANSEATIC CITY, sondern mit einem Monumentalkalender, voll mit bildungsbürgermodernem Flair der internationalen Handelsstadt

Doch. Eindeutig hanseatisch. Ein 42,5 x 51 Zentimeter großes Stück Bremen-Werbung auf 15 Seiten. Die hinteren zwölf sind als 89er Kalender nutzbar. Das ist Absicht.

Stil hat es auch. Im ebenfalls rechtschaffen sozialdemokratisch gelenkten Ruhrgebiet gibt man zur Jahreswende noch immer rechtschaffen gebundene Bücher a la „Dortmund als Wirtschaftsregion“ heraus, für mäßig daran interessierte Manager und ähnlich hoffnungsvolles Strukturwandelvolk. Bücher mit Hochglanzumschlag, die zu nichts richtig zu ge

brauchen sind und voll altbacken-sozialdemokratischer Beamtenblödheit, die alles, wofür sie werben sollten, zur hoffnungslos braven 60er Jahre-Provinz verhunzen. So ist das Ruhrgebiet. Das Herz immer etwas dumm auf den Lippen. Keine Ahnung von Zeitgeist.

DIE FREIE HANSESTADT - THE FREE HANSEATIC CITY ist da aus anderem Schiffsholz geschnitzt. Sie macht Werbung hübsch und nützlich. Im Face-Tempo-&-Co.-aber-seriös! -Zeitgeiststil schwappt eine handgemalt ausschauende 1989 übers Ti

telblatt. Unterm honiggoldenen Holzknauf einer Original Bremer Böttcherstraßen-Türklinke. Klasse.

Drüber schlicht Bremen's Böttcherstrasse - a work of art fürs internationale Handelsstadt-Flair, drunter winzigdezent die Speckfahne und der Name jener edlen deutschen Großstadt, die solch Wunderwerk schickseriösen Designs herauszugeben versteht.

So bildungbürgermodern, wie es oben drauf anfängt, geht's auch drinnen weiter: Klaus Wedemeier macht einen Vorwortbummel zur Böttcherstraße, Ulla Tesch (Text) beeindruckt sich und uns vom Jahrhundertanfang - als Roselius, Erfinder des entcoffeinierten Kaffees, begann, nach und nach die Böttcherstraße aufzukaufen - bis der Sohn 1988 alles an Senat den Senat vergoldet.

Alles zart gesetzt (Layout: Achim Bertenburg), mit viel Durchschuß und krakkelig kalligraphisch gemalten Überschriften. Diese Schrift macht fortan aus zwölf guten deutschen Monaten einen zweisprachigen Kalender, manchmal mit so eleganter Sparsamkeit wie in februar/y.

Das ganze Jahr dürfen die schicken Bremen-Kalender-Besitzer dann mit ihrer Böttcher

straße verbringen: dem Glockenspiel von Runge&Scotland (1924), der Himmelsglaskuppel des expressionistischen Atlantis-Haus (1931) von Bernhardt Hoetger, einem Lucas Cranach dem Älteren (um 1540), dem alles verbindenden roten Backstein, zwei Paula Becker-Modersohn-Bildern (1906), dem Sandsteinrelief der Karyathidenladies des Sieben-Faulen -Haus‘, bronzenem (Stadtmusikanten)Getier von Ho

etger, dem Eingang zum Roselius-Haus und dreimal mit der stillenden Mutter Maria. Ja.

Ein Kalender, den ich mir, glaube ich, in die Küche hänge. Da gibt es keine Bücher bei mir. Zwischen Bücherregalen nämlich und über verlassene SPIEGELhefte und über ZEITreste gehört keine Bildungsbürgerästhetik. Dahin kommt der Mickey -Mouse-Kalender.

Petra Höfer