Uni: Echt Bock auf Veranstaltung sprengen

■ Uni-Streik auf Touren: FB-Versammlungen bestätigen Streikbeschluß: Bürgerliches Recht fällt aus, Straßentheater findet statt / StudentInnen richten Streikrat ein / Nur angehende Volkswirtschaftler wollen lieber overhead-Projektor gucken

Zwischen Lila Pause „Capuccino Crisp“, Pfefferminz -Teebeuteln, trockenen Brötchen und (noch) jungfräulichen Wandzeitungen tagt seit den frühen Morgenstunden der Streikrat und wartet auf erste tröpfelnden, sich im Laufe Rückmeldungen aus Arbeitsgruppen, Vollversammlungen und Aktionskomitees. Schon um 8.00 Uhr hat die Erstseme ster-VV der Juristen getagt und über überfüllte Hörsäle, fehlende Hochschullehrer und das „moderne Antiquariat“ in der fachliterarischen Präsenz-Bibliothek diskutiert. Der Rest des juristischen Studien-Stundenplans („Einführung Bürgerliches Recht“, „Strafrecht“, „Grundlagen bürgerlicher Herrschaft“ entfällt. Die Erstsemester schließen sich dem Streik an.

Die älteren Semster sind später aufgestanden. Ab 10 Uhr tagen die übrigen Fachbereichs-Vollbersammlungen: Psychologie, Sozialwissenschaften, Politik, Geschichte. Wer im Augenblick nichts zu tun hat, versammelt sich im Foyer des GW 2 vor dem Streikbüro: „Ei, haste nicht mal Bock, Veranstaltungen sprengen gehen.“ Viele haben Bock. Diskussions- und „Sprengtrupps“ ziehen durch die Restbestände eines „ordnungsgemäßen Lehrveranstaltungsbetriebs“, funktionieren Statistik -Seminare und Literatur-Vorlesungen zu Streik-Debatten um und informieren über die Beschlüsse der Uni-Vollversammlung, bis Weihnachten „Aktionstage“ zu veranstalten. Fast überall sind die StudentenInnen mit dem plötzlichen Themenwechsel einverstanden, Hochschullehrer weisen auf ihre Beamtenpflichten hin und bieten förmlich die Fortsetzung ihrer Veranstaltung an. Es scheint: Kaum einem kommt's so recht von Herzen. Nur eine studentische „Randgruppe“ ärgert sich: Extra so früh aufgestanden, und jetzt bloß Streik.

Anders bei Professor Schäfer, Raum B 1410, Ökonomie 3. Semester, VWL I: 120 angehende Volkswirtschaftler sitzten brav auf auf ihren Stühlchen mit Klapp-Schreibunterlage und schwatzen halblaut, bis der Herr Professor kommt. Statt des Professors kommt die Streik-Mobilisierungs-Gruppe des Aktionsrats: „Wir würden gerne mit Euch über unsere Arbeitsbedingungen im Studiengang diskutieren und über unsere Beteiligung am Streik“. Dr. Schäfers Studenten wollen nicht streiken, Dr. Schäfers Studenten wollen Volkswirtschaft lernen. Einer fragt: „Wollt ihr wirklich in solchen Massenveranstaltungen lernen? “ Chorische Antwort: „Ja!“. Also holt Hochschullehrer Schäfer seine Overhead-Projektor-Folie heraus, an der Wand leuchtet ein helles Fleckchen mit ein paar grünen Kritzeln: „Wir wenden uns dem Gleichgewicht von Angebot, Nachfrage und Geldumlauf nach Keynes“ zu. 117 StudentInnen wenden sich. Drei folgen dem Aufruf, in den Räumen des Studiengangsausschusses über „Streikforderungen“ zu diskutieren.

Die Juristen-Vollversammlung ist inzwischen auf die Suche nach einem neuen Raum gegangen. Die Haustechniker sind entweder nicht da oder weigern sich, den Bibliothekssaal für Streikversammlungen zur Verfügung zu stellen. Kollektiver Umzug nach B 2990: „Hei, sind jetzt alle da oder sind da noch AG's am Labern. Ich hätt jetzt echt Bock, mal anzufangen.“ Es sind alle da, die Theater-Ab fängt an. In der Sögestraße könnte z.B. eine Stuienplatz-Tombola straßeninszeniert werden. Irgendwelche Menschen, die durch selbstgbastelte Hüte „jursitisch und studiert“ aussehen versteigern einen Bremer Studienplatz 1. Klasse. Mitzubringen sind allerdings: Ein Zelt, ein Klappstuhl, Campingkocher, feste Schreibunterlage, Fernleihscheine für Fachliteratur usw. Während der Aktion soll der hektischen Weihnachts -Laufkundschaft in der Innenstadt „die Lage der Bremer Jura -StudentInnen“ kurz, knapp und sachlich auf Flugblättern erläutert werden. Die Theater-AG erläutert noch drei weitere Kurz-Drehbücher - von der „Alternativ-Vorlesung in der Wertkauf-Möbelabteilung“ bis zum „Dauer-Tutorium in der Straßenbahn zwischen Flughafen und Kulenkampff-Allee“ und kommt zum Schluß: „So, und jetzt wollen wir, daß ihr das alle toll findet!“ Finden alle.

Im zentralen Streikbüro füllen sich derweil die Wandzeitungen, inzwischen ist eine Anlage herbeigeschafft und eine provisorische Telefonleitung installiert. Eine Delgation von Bremer Fachoberschulen diskutiert mit dem provisorischen Streikkomitee über „Solidaritätsaktionen“: „Unser Ziel muß echt Berlin sein, weil: Das ist ja echt Wahnsinn.“

K.S.