Strichmännchen auf dem Förderband

■ „Sieben Türen“ von Botho Strauß im Frankfurter Theater am Turm

Es war einmal ein junger Mann, der nur einen Tag zu Gast war. Der hatte sich in den Kopf gesetzt, alle Menschen seien nur noch Hüllen. In ihnen sei nichts mehr, keine Regung. Das einzige, was sie noch tun, so dachte er: Sie täuschen sich darüber hinweg, daß nichts mehr in ihnen ist. Und dann ging er eines Tages auf die Straße und...

In Frankfurt kommt aber zuerst einmal eine weiße Ledercouch auf einem Förderband. Auf ihr sitzen zwei, die feiern gerade Hochzeit. Sie sind recht deprimiert, denn es erscheinen keine Gäste: „Glücklich bis zum Gehtnichtmehr und dann vergessen, jemanden einzuladen“, sagt sie. Das Problem ist so neu nicht, und wer es nicht schon selbst hatte, war vielleicht in Botho Strauß‘ Kalldewey, Farce. Dort haben eine Frau ähnliche Sorgen geplagt. Zwar sind die Nächsten zu ihrem Geburtstag eingeladen, aber keiner hat ein Geschenk. Die Feste fallen, das Feiern aber immer schwerer.

Das und zehn weitere Ereignisse der aseptischen Art nennt Botho Strauß „Bagatellen“. Zusammen ergeben sie Sieben Türen, einen Theaterabend zwischen 90 und 120 Minuten. Vieles davon ist amüsant. Wenn der Parkhauswächter einen Leibwächter braucht, weil er sich beim Wachen beschützt wissen will. Oder wenn der geschlagene Fernseh-Quiz-Kandidat heimkommt und die eigentliche Prüfung noch auf ihn lauert: die Ehefrau, die wochenlang „Liszt und Konsorten“ mit ihm gepaukt hat.

Aber Botho Strauß, der Berliner Dialektik-Melancholiker, mischt den für ihn typischen Wermutstropfen bei. Er tut so, als sei das alles Zeichen und Ursache der miserablen Verfassung des heutigen Menschen - und als sei das schon alles. So kommt es zu einer merkwürdigen Bühnensituation. Das wirkt alles oberflächlich, und dennoch läßt er seine Figuren sich selbst tiefsinnig analysieren. Es will nicht so recht passen.

Irgendwann wird auch das für Strauß obligate Mädchen hereingefahren und trifft auf den Mann. Typ: verklemmter Beamter. Es sagt: „Hilf mir! Ich bin in Wirklichkeit eine kluge Person. Eine Verfasserin von Briefen. Ich kann Karten lesen...“ Was folgt? Ein paar kurze Striche, beide in die Kiste, Deckel drauf, Affe tot. Das Ärgernis: Die Mädchen bei Botho Strauß bringen kein gescheites Wort über die Lippen und sind in den Inszenierungen - so auch in Frankfurt geradezu zwangs-läufig, nervös zappelnde Punkerinnen. Die gab's schon mal in Kalldewey, Farce, dann im Park, und jetzt muß man sie immer so machen.

In Frankfurt - der nach Stockholm, Wien und München vierten Inszenierung von Sieben Türen - kommen die Strichmännchen nicht aus Türen. Sie werden den Zuschauern auf einem Förderband präsentiert. Einige Male stimmt die Dialogzeit genau mit der Bühnenbreite überein. Es wurde gesagt, was nötig schien, und sie verschwinden wieder. Manches Mal wird es knapp. Wenn dann die Figuren zu verschwinden drohen, aber noch etwas zu sagen haben, sitzen sie auf der Couch, recken die Köpfe nach dem Publikum und sprechen weiter. Das ist eine witzige Kommentierung der Show - und Ratespiel-Meiers und -Müllers, die ins öffentlich -rechtliche Rampenlicht wollen, skrupellos gegen sich selbst.

Die etwas längeren Bagatellen wurden von Elke Lang/Ulrich Waller (Regie) noch einmal in mehrere Sequenzen geteilt. Das Ganze wird dadurch verzahnt, und es entsteht auf dem Förderband sogar andeutungsweise so etwas wie Handlung - jäh unterbrochen von Bagatellen, aus denen besser ein Aphorismus oder ein kurzes philosophierendes Gedankenspiel geworden wäre. Botho Strauß aber zwingt die Idee auf die Bühne. Da muß dann ein junger Autoverkäufer zwischen zwei kalauernd philosophierenden Möchtegernkäufern eingezwängt werden.

Sieben Türen ist weder ein richtiges Stück noch sind die Bagatellen geglückte absurde Kurzpossen. Dazu setzt Strauß viel zu offensichtlich die große Bedeutungsspritze an und pumpt die bedeutungslosen Figuren doch wieder auf. Er bleibt zwischen den Genres hängen und will das so. Er leugnet, daß die Menschen heute noch eine Geschichte haben und in Geschichten verwickelt werden, ob sie wollen oder nicht.

Im Theater am Turm ist zu sehen, wie Botho Strauß routiniert inszeniert wird. Man weiß, was er schreibt und wie man es umzusetzen hat: amüsante Fingerspiele fürs Theater, an denen sich keiner dieselben (wat denn? die Fingerspiele? d.S.) verbrennt.

Jürgen Becker