Studentische Dynamik im Kohlenpott

An der Gesamthochschule Duisburg halten „autonome“ Sozialwissenschaftler seit zehn Tagen den Asta besetzt / Streik an mehreren Fachbereichen / Apo-Veteranen sprechen von „dilettantischem Vorgehen“ der Protestler / Auch der Asta hat die Bewegung verpennt  ■  Aus Duisburg Süster Strübelt

An der Großdemo in Düsseldorf wollten sich die offiziellen Studentenvertreter nicht beteiligen, weil Wahlen zum Studentenparlament anstanden. Für Öffentlichkeitsarbeit und Wissenschaftskritik war schon seit langem niemand mehr zuständig: Der Allgemeine Studentenausschuß der Duisburger Gesamthochschule hatte die neue Studentenbewegung schlichtweg verschlafen.

Schließlich wurde es den Sozialwissenschaftlern zu bunt. Mit einer Gruppe von 15 Studenten „aus dem autonomen Spektrum“ besetzten sie vor zehn Tagen den Studentenausschuß und riefen zum Streik auf. Zur ersten Vollversammlung kamen allerdings nur 250 Leute - ein mageres Ergebnis. „Die meisten Studis wußten gar nicht, wer der Asta ist“ erzählt Roderich mit dem blonden Irokesenschnitt, einer der inzwischen 20 Aktiven, die sich im Asta-Büro drängeln, auf Schreibmaschinen eintippen und immer noch nicht mit der Telefonanlage umgehen können. Als sie versuchten, in den Seminaren zum Streik aufzurufen, mußten sie sich von lerneifrigen Wirtschafts- und Ingenieurwissenschaftlern Beschimpfungen wie „Faschisten“ und „geht doch nach drüben“ anhören.

Jahrelang hatte es solche Aktionen an der kleinen Universität - 12.400 Studenten sind eingeschrieben - nicht mehr gegeben. Politik stand im Hintergrund, nur noch 18 Prozent der Studenten beteiligten sich an den Wahlen fürs Studentenparlament. Den Asta bildete zuletzt eine „Fachschafterliste“, die sich selber politisch nicht definieren will. Die Autonomen werfen ihr vor, in Bürokratismus und der Konzentration auf Service-Leistungen erstickt zu sein. Der Studentenausschuß habe nur noch „Bleistifte verkauft“ und Konzerte organisiert.

Daß der bunte Haufen, der sein Büro mit einer Kette verschlossen hielt, erfolgreicher war, mußten die alten Fachschafter nach kurzer Zeit einsehen. Die Diskussion um alternative Studieninhalte und die Kritik am universitären Stellenabbau mobilisierten schon nach wenigen Tagen 800 Studenten zu den Vollversammlungen. Eine Eigendynamik, die sie nicht erwartet hätten, staunen die gewählten Studentenvertreter, die inzwischen nach einer gütlichen Einigung wieder in ihre Büroräume eingezogen sind und sich den Asta-Sitz mit den Autonomen teilen. Am vergangenen Freitag zogen die Aufmüpfigen in einem triumphalen, immer größer werdenden Umzug über den Campus, ließen mehrere Seminare „platzen“ und besetzten das Institut für Politologie. Seither sind die Sozialwissenschaftler und Theologen im Streik, die Geographen und Sprachwissenschaftler schlossen sich ihnen am Montag an. Inzwischen rufen sogar die Maschinenbauer zu einem dreitägigen Vorlesungsboykott im Januar auf, so daß dem alten Asta nichts anderes übrig blieb, als diese Pläne mit einer Urabstimmung rechtlich abzusichern.

Nur vom sogenannten Lehrkörper haben die Studenten bisher keine Unterstützung erfahren. Der Rektor habe sich zwar nach der Besetzung „nicht blicken lassen“, erklären die Autonomen erleichtert. Aber auch fortschrittliche Professoren und Assistenten wollen lieber ihren Lehrstoff durchziehen, als sich mit Streikforderungen auseinanderzusetzen. Die Soziologin Helga Gripp-Hagelstange bezeichnet das studentische Vorgehen als „dilettantisch“ und fürchtet, es sei im Streik „nicht so viel Luft drin“. „Die Apo-Opas meinen, sie hätten es besser gemacht“, meint Roderich mit dem Irokesenschnitt.