ZÄRTLICHER SCHÜTZEN!

■ Eine Ausstellung zu ungepflegten Baudenkmalen in Berlin

Wie mit denkmalwürdiger Bausubstanz umgegangen wird, ist weniger ein Problem der Architektur als eines der Reflexion über die in den Bauten verkörperte Geschichte. Ist das Bewußtsein dafür getrübt durch den Mangel an politischer Verantwortlichkeit, so bleiben oft nur der Kahlschlag mit der geschichtsverdrängenden Abrißbirne oder - groteskerweise - die Rekonstruktion wiederauferstandener Vergangenheit in neuem Glanze. Fühlbar ist in den gekitteten, polierten Trümmerhaufen nicht einmal mehr, was Ruinen sein könnten: dingliche Geschichte als temporärer Bestandteil der Gegenwart.

Im ehemaligen Arbeitsschutzmuseum in der Charlottenburger Fraunhoferstraße, eine Eisen-Glas-Basilika der Jahrhundertwende und ein letztes Berliner Objekt aus der Zeit industrieller Kristallpalastarchitektur, dokumentiert eine Ausstellung ex negativo, was Denkmalschützer zu haben glauben: überzeugendes Bewußtsein für Bauten gegen die politischen Erosionen.

Unter dem Motto „Verloren - gefährdet - geschützt. Denkmale in Berlin“ führt sie eine fotografische Revue aus Facetten der Berliner Denkmalwelt vor; inklusive Modellen und Dokumenten aus der praktischen Denkmalpflege und Inventarisation. Entlang dem industriell -sozialgeschichtlichen Verlauf der Bau- und Stadtgeschichte werden bekannte Baukomplexe aus dem Westteil der Stadt vorgestellt, die es zu retten gilt. Überhaupt - das ist die Botschaft der Ausstellung aus Anlaß des zehnjährigen Bestehens der Berliner Denkmalschutzgesetzes - steht neben der wohnlichen und ökonomischen Nutzung der dem Verfall ausgesetzten Gebäude das Problem der Reparatur im Mittelpunkt.

Trotzdem. Wie schwer sich die Berliner Denkmalschützer tun, eine sinnvolle Definition und Akzeptanz für die bewußte Auseinandersetzung mit historischer Architektur zu finden, zeigt die Schau anhand ihrer spröden Zeugen, die nach Denkmalwürde förmlich schreien müssen, und nicht zuletzt am Beispiel des Geländes, das ihnen den Rahmen gibt. Umzingelt von privaten Interessen, wirtschaftlicher Verwertbarkeit und politischer Ignoranz ist das ehemalige Arbeitsschutzmuseum zum jetzigen, fast rudimentären Zustand verkommen. Im Krieg beschädigt und danach als Maschinenhalle genutzt, wurde der Bau 1971 baupolizeilich gesperrt und 1978 an die Physikalisch-Technische Anstalt verkauft. Diese plante den Abriß, der nur über zwei Rechtsinstanzen gestoppt werden konnte. 1990 soll die Sanierung eine neuerliche Verwendbarkeit ermöglichen.

Ganz rational und mit Blick auf den nostalgischen Effekt ist der immerwährende Konflikt denkmalschützender Arbeit zwischen Bewahrung der originalen Substanz und Struktur oder seiner ästhetischen Wiedererweckung zum letzteren entschieden. Oder anders gesagt: Wie schlägt man den Zahn der Zeit aus und tötet behutsam mit einem finalen Rettungsschuß die Geschichte als Prinzip des Ruinösen. Angesichts der rostigen Eisenkonstruktion und der blinden Glasscheiben, der gesprühten Graffiti und der ratlosen Stützmauerung bleibt das Unternehmen der „Konservierung“ zwiespältig. Denn der Akt baulicher Rekonstruktion ist der späte Versuch einer hilflosen Verschönerung, wegen der öffentlichen und privaten Inkompetenz und geschichtlicher Unzulänglichkeit, die das Museum verrotten ließen, hat man doch so lange warten müssen, bis der Bau fast zusammengestürzt wäre. Zugleich, prüft man die Bedeutung der „behutsamen Stadterneuerung und Denkmalpflege“ der Stadtverwaltung genauer, so hat der fast wütende Rekonstruktionseifer der politischen Denkmalschützer zu einer immer geschichtsloseren Rehabilitierung der Architektur geführt.

Fragwürdig scheint die denkmalschützende Absicht angesichts des dokumentierten Anhalterbiotops, wo die Natur sich in die Geschichte einritzt, gleichzeitig aber Verkehrsplaner über ihre Reißbretter schon Autokolonnen rasen sehen. Auch das besorgte Interesse für den Schutz der Fünfziger-Jahre -Ensembles um den Bahnhof Zoo mutet hilflos an, sieht man die Städtebauer mit ihren Hochhausmodellen spielen. Fatal nimmt sich die Aufmerksamkeit für die zerbombte Naziarchitektur aus. Bei der japanischen Botschaftskopie wird deutlich, daß die abgetragenen Ruinen der geschichtlichen Kompensation dienen, die die Bedeutung von Vergangenheit nicht sehen will. Sie ist nichts weiter als die Inszenierung einer Imagination, die weder Alter noch Zeiträume kennt.

Eben weil die politischen Denkmalschützer glauben, die eigentlichen Retter der Vergangenheit zu sein, erscheint der Umgang mit historischer Bausubstanz so geschichtslos. Während Friedrich Schinkel ihnen schlichtweg Dummheit ins Stammbuch schrieb, forderte John Ruskin 1849 einen „zärtlichen“ Umgang mit Bausubstanz überhaupt, bei dem die Zeit ihr Recht hat und die Gebäude in Auseinandersetzung mit ihr stehen. Nur, ein zärtlicher Umgang bedarf der Kompetenz des Benutzers. Nicht der politischen Landeskonservatoren.

rola

„Baudenkmale in Berlin“. Bis zum 5.März im ehemaligen Arbeitsschutzmuseum in der Fraunhoferstraße 10-11 zu sehen. Eintritt ist frei. Katalog: 35 Mark.