KOMMENTAR: Weichen sind gestellt
■ Zum ZK-Plenum in Warschau
Manch einfacher Genosse der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei PVAP dürfte in diesen Tagen den Eindruck haben, seine Partei sei in eine Kaffeemühle geraten. Da jagen sich im Vorfeld des ZK-Plenums informelle Konferenzen der verschiedenen Parteigremien, die Wojewodschaftssekretäre werden eilends nach Warschau gerufen, das Plenum, immer wieder aufgeschoben, wird plötzlich zweigeteilt. Kein Zweifel, der Machtkampf um den Kurs der Partei geht in seine entscheidende Phase. Heute, am Tag nach dem ersten Teil des Plenums, dürfen die Reformer aufatmen: Das Pendel hat zum ersten Mal seit Verhängung des Kriegsrechts eindeutig auf ihre Seite umgeschlagen.
Das halbe Politbüro wird ausgewechselt, und im ZK selbst zeigt sich, daß die Liberalen von 1980 nicht alle in die Wüste geschickt wurden. Julian Kraus, der sich vor Solidarnosc nicht fürchtet, wurde auf dem berühmten „basisdemokratischen“ Parteitag ins ZK gewählt. Und Professor Stepien, dessen Krakauer Reformerblatt 'Zdanie' erst im Klima der Solidarnosc-Zeit erscheinen konnte, hat es jetzt vom einfachen Mitglied der Krakauer Exekutive zum ZK –Sekretär gebracht. Rakowski indessen, dessen Wahl zum Premier das Haltesignal für Solidarnosc sein sollte, hat eine wichtige Funktion abgeben müssen: Er ist nicht mehr ZK –Sekretär. Doch er ist zu sehr Vollblutpolitiker, um das nicht als warnendes Zeichen zu verstehen. Noch vor Wochen lehnte er eine Wiederzulassung von Solidarnosc kategorisch ab. Nun, da der Wind umgeschlagen ist, kündigte er vor dem ZK an, die Partei werde ihre Haltung „überprüfen“. Im Januar soll dann entschieden werden. Die Zweiteilung des ZK-Plenums zeigt, daß der Machtkampf noch nicht endgültig entschieden ist. Aber die Weichen sind gestellt.
Klaus Bachmann
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