„Man munkelte in Gelnhausen seit langem...“

Ein früherer Firmenangehöriger der NTG über die dunklen Atomgeschäfte / Der Fürst von Ysenburg und Büdingen muß informiert gewesen sein / Geschäftsführer Ortmayer kam von der Nukem zur NTG / Auch mit Plutonium hantiert  ■ I N T E R V I E W

taz: Herr X, Sie haben lange in der Firma NTG gearbeitet. Ist der Skandal um die Firma NTG für Sie eine Überraschung?

X: Es ist keine Überraschung für mich. Man munkelte in Gelnhausen seit langem, daß hier Dinge gemacht wurden, die nicht rechtens waren. Aber dunkle Geschäfte waren nicht beweisbar. Es waren Informationen, die von Dritten immer wieder durchsickerten.

Kennen Sie den Geschäftsführer der NTG, Ortmayer, der die Atom-Geschäfte mit Pakistan, Indien und Südafrika abgewickelt hat?

Über die Geschäfte weiß ich nichts, aber es gab immer wieder entsprechende Hinweise. Herrn Ortmayer kenne ich recht gut. Er kam vor meiner Zeit, Anfang der 70er Jahre zur NTG. 1973 hat Ortmayer dann die Geschäftsführung übernommen. Ortmayer kam von der Hanauer Firma Nukem zur NTG. Er hat immer sehr gute Kontakte zur Nukem gehabt.

Gab es enge Geschäftsbeziehungen zwischen NTG und Nukem?

Zu meiner Zeit nicht. Ich bin nicht unterrichtet, wie sich das in den letzten Jahren entwickelt hat.

Die Firmenleitung der NTG behauptet jetzt, die illegalen Atomgeschäfte seien ein Alleingang des Herrn Ortmayer gewesen. Die Restfirma und vor allem der Besitzer, der Fürst von Ysenburg, hätten nichts damit zu tun.

Der Fürst war immer sehr interessiert an den Geschäften der NTG. Ich meine, er ist immer informiert gewesen.

Noch mal: Dann hat der Fürst also von den illegalen Geschäften gewußt?

Ich kann mir nicht vorstellen, daß er uninformiert war. Das ist nicht plausibel. Sie müssen sich vor Augen halten, daß diese Geschäfte mindestens seit 1982 laufen. Praktisch bis heute. Die Zusammenarbeit zwischen dem Fürsten und Ortmayer muß allerdings irgendwann einen Knacks bekommen haben. Nach Informationen aus Gelnhausen sollte Ortmayer herausgeworfen werden, weil er in den USA ein eigenes Unternehmen aufgebaut habe und über dieses Unternehmen bestimmte Geschäfte abgewickelt haben soll. Da soll es dann einen Krach gegeben haben, Ortmayer sollte gehen. Nach Informationen von Beschäftigten der Firma verlangte Ortmayer aber eine halbe Million. Man kann natürlich spekulieren, weshalb er den Fürsten mit solch einer Forderung angehen konnte. Mehr möchte ich dazu nicht sagen.

Gibt es außer dem Fürsten noch relevante Anteilseigner bei der NTG?

Nein. Es kann natürlich sein, daß er seinem Sohn bestimmte Anteile übertragen hat, aber die NTG ist seine Firma.

Die NTG - was ist das eigentlich für eine Firma?

Wir haben zu meiner Zeit für verschiedene Reaktoren Komponenten gebaut. Einzelteile aus Edelstahl und Zirkaloy und anderen hochlegierten Nickelverbindungen. Diese Komponenten wurden vielfach direkt im Core (Kern, d.Red.) der Reaktoren eingesetzt. Wir haben eine ganze Reihe von deutschen Atomkraftwerken beliefert, darunter sämtliche Siedewasser-Reaktoren. Auch amerikanische Reaktoren wurden beliefert. Und wir haben Core-Einschübe für Forschungszwecke hergestellt. Weiter wurden von der NTG für den Hochtemperaturreaktor in Schmehausen Brennelementkannen geliefert.

Sie hatten dafür in Birstein eine Produktionsstätte?

In Birstein hat die Firma begonnen, aber das war vor meiner Zeit. NTG ist dann später, im Jahre 1971 nach Gelnhausen umgezogen.

Stimmt es, daß die Firma auch mit Plutonium gearbeitet hat?

Die NTG bekam dieses Material offenbar von den Forschungszentren zur Verfügung gestellt.

Hatten die NTG denn überhaupt eine Umgangsgenehmigung für Plutonium?

Ich kann mich an Genehmigungen nicht erinnern.

Aber die Firma hat mit Plutonium gearbeitet. Können Sie die Mengen quantifizieren?

Die Plutoniummenge kann höchstens im Grammbereich oder knapp darunter gelegen haben. Damals war man sich der Gefahren im Umgang mit Plutonium noch nicht so bewußt. Der Umgang mit Plutonium lief unter der Aufsicht der Lieferanten, die das mitbrachten.

Hat die Firma auch mit hochangereichertem Uran gearbeitet?

Meines Wissens nicht. Wir hatten nur Uran, das bis auf einige Prozente angereichert war.

Die Firma NTG wird jetzt verdächtigt, gegen den Atomwaffensperrvertrag verstoßen zu haben. Glauben Sie, daß sich Ortmayer über die militärische Relevanz seiner Zusammenarbeit mit Pakistan, Südafrika und Indien bewußt war?

Ich kann natürlich nicht in den Kopf von Ortmayer hineinsehen, aber die Geschäftsführung ist sich schon im klaren über die Brisanz der Dinge, mit denen sie arbeitet. Die Geschäftsführung weiß natürlich, was sie darf und was sie nicht darf.

Wer hat ihre Firma kontrolliert?

Wir hatten immer von den Betreibern und Forschungszentren Leute im Haus. Unter deren Aufsicht geschah dann die Fertigung. Die Auflagen sind erst in den letzten Jahren gewachsen.

Zu den brisantesten Materialien gehört Tritium. Die NTG soll Tritium nach Pakistan geliefert haben.

Dafür habe ich keine Erklärung. Ich habe keine Vorstellung, woher das Tritium stammen könnte. Die Firma hatte mit Tritium eigentlich nie zu tun.

Gibt es spezielle Beziehungen der NTG zu anderen Firmen, von denen das Tritium stammen könnte?

Darüber weiß ich nichts. Die NTG hatte ja mit der Nuklearindustrie in ganz Europa und in den USA zu tun.

Die anderen Materialien, die illegal exportiert worden sind, waren das die Stoffe und Komponenten, mit denen in der Firma gearbeitet wurde?

Das waren die üblichen Materialien, denn die Firma hat ja sehr viele Core-Einbauten hergestellt.

Interview: Manfred Kriener