Knallharte „WohlFahrt“

Rücksichtslose Totalräumung des Arbeiterwohlfahrt-Kinderheimes in Kronburg / Einreisende Kinder werden ohne Wissen der Angehörigen in Bundesländer verteilt / Gruppen gegen Behördenwillkür gegründet  ■  Aus Frankfurt Heide Platen

„Ich habe gedacht, es steht ein Bombenangriff bevor und es muß evakuiert werden! Kleine Kinder rannten weinend und schreiend durch das Kinderheim der Arbeiterwohlfahrt in Kronberg im Taunus. Sie klammerten sich an ihre Schmusetiere, aneinander und an den BetreuerInnen fest.“

So schilderte die hessische Landtagsabgeordnete Iris Blaul die brutale Räumung des Kinderheimes am Mittwoch voriger Woche. Vorausgegangen war eine Besprechung zwischen Stadt und Landesjugendamt, der Arbeiterwohlfahrt und den HeimmitarbeiterInnen, die sich in den letzten Monaten immer wieder gegen Überbelegung und Konzept des Heimes gewehrt hatten.

Das Heim ist Glied in einer Skandalkette, bei der sich der Bundesgrenzschutz, das Landes- und das Frankfurter Stadtjugendamt in die Hände arbeiten und die bereits eine Reihe von Strafanzeigen und Dienstaufsichtsbeschwerden nach sich zog (taz v. 21.9. 1988).

Am Rhein-Main-Flughafen hinderte der Bundesgrenzschutz allein einreisende Kinder aus dem Iran und anderen Ländern daran, zu ihren wartenden Verwandten zu gelangen. Er verfrachtete sie vorübergehend in Heime. Innerhalb weniger Stunden übernahm dann das Stadtjugendamt die Amtsvormundschaft für die Kinder, welche inzwischen oft verzweifelt von ihren Angehörigen gesucht wurden. Der schnell- und frischgebackene Amtsvormund stellte dann für die Kinder, die diesen weder brauchen noch wollen, einen Asylantrag. Damit sind Stadt und Land aus dem finanziellen Schneider der Verantwortlichkeit und die Kinder können nach einem Verteilerschlüssel auf alle Bundesländer verstreut werden. Kinder, deren Verwandte in Hamburg leben, können so durchaus im bayerischen Wald landen. Der Heimleiter Hermann M., der diese Zustände seinem Arbeitgeber AWO gegenüber immer wieder monierte, kündigte aus Protest gegen die Zustände in dem Haus, das das Jugendamt verschleiernd „Clearungstelle“ nannte.

Damit trat der Geschäftsführer des AWO-Bezirks Hessen Süd, Erhard Polzer, auf den Plan. Dem Jugendamt gegenüber nahm er die Kündigung mit Hinweis auf „unhaltbare Zustände“ zum Anlaß, nun die Totalräumung durchzusetzen. Wie weit dies im Zusammenhang mit vermuteten Plänen der Arbeiterwohlfahrt steht, ihre Einrichtungen von gemeinnützigen in Gesellschaften mit beschränkter Haftung umzuwandeln, ist nicht bekannt. Immerhin ist das Kronberger Haus eine teure Immobilie.

Polzer, der zur Mitarbeiterbesprechung schon die für den Abtransport der Kinder vorgesehenen Reisebusse mitgebracht hatte, äußerte sich dazu nicht. Er erklärte vielmehr, die Eile sei geboten gewesen, „wegen der starken emotionalen Bindungen“ zwischen den Kindern und ihren Betreuer Innen.

Inzwischen hat sich Widerstand gegen die Praktiken der Jugendämter und der AWO formiert. Es protestierten Lehrer, Ärzte-Initiativen, Rechtsanwälte, Terre des hommes, ausländische und bundesdeutsche Frauen. Am 9.Januar soll eine Initiative gegen das Vorgehen der Behörden und der AWO gegründet werden.