Bonn wußte seit 1985 von Atomgeschäft mit Pakistan

■ Skandal um Export von atomwaffentauglichem Material weitet sich aus / USA hatten wegen Pakistan-Connection interveniert / NTG hantierte mit Plutonium

Bonn/Frankfurt/Berlin (taz) - Die Bundesregierung ist mindestens seit Beginn des Jahres 1985 über die Pakistan -Geschäfte der hessischen Firma „Neue Technologien GmbH“ (NTG) informiert gewesen. Zwischen dem Auswärtigen Amt und dem Wirtschaftsministerium hat es eine zwölf Monate andauernde Kontroverse über die Lieferung einer Tritium -Rückgewinnungsanlage durch die NTG gegeben. Tritium ist Bestandteil moderner Atombomben; deswegen intervenierten die USA ausdrücklich beim Auswärtigen Amt gegen das Pakistan -Geschäft.

Ein früherer Firmenangehöriger der NTG hat in einem taz -Interview (Seite 5) weitere brisante Einzelheiten über die Gelnhausener Firma des Fürsten Otto zu Ysenburg und Büdingen mitgeteilt. Danach hat die NTG auch mit Plutonium gearbeitet. Der Hauptbeschuldigte des Proliferationsskandals, Rudolf Ortmayer, ist Anfang der 70er Jahre von der Hanauer „Nukem“ zu NTG gewechselt. In Gelnhausen habe man „schon seit langem“ von dunklen Geschäften der NTG gemunkelt.

In Bonn werden morgen gleich vier Ausschüsse zu Sondersitzungen zusammentreten, darunter überraschend auch der Auswärtige Ausschuß, in dem die internationalen Konsequenzen der illegalen Ausfuhr der atomwaffentauglichen Komponenten an Pakistan, Indien und Südafrika diskutiert werden sollen. Material bietet sich reichlich.

Aus den Akten des Bonner Atom-Untersuchungsausschusses geht hervor, daß die NTG das Wirtschaftsministerium schon am 1.April 1985 um eine Stellungnahme bat, ob es Bedenken gegen die Lieferung der Tritium-Anlage gebe. Der damals wie heute zuständige Referatsleiter für „außen- und sicherheitspolitische Fragen des Außenwirtschaftsverkehrs“, Joachim Daase, vermerkte dazu schriftlich, daß die Firma schon bei „früheren Gesprächen“ gebeten worden war, vor sensitiven Pakistan-Exporten Kontakt mit dem Ministerium aufzunehmen. Die nun folgende und bis Mai 1986 andauernde Kontroverse mit dem Auswärtigen Amt drehte sich darum, ob die Tritium-Anlage nach dem Außenwirtschaftsgesetz genehmigungspflichtig ist und ob sie eindeutig militärische Bedeutung hat.

Das AA beharrte auf der Genehmigungspflicht, die dann eine Ablehnung des 18-Millionen-Mark-Auftrags der NTG nach sich gezogen hätte. Auf dem Index für genehmigungspflichtige Anlagen standen damals zwar Anlagen zur „Erzeugung von Tritium“, aber noch nicht zur „Rückgewinnung von Tritium“, wie es seit März diesen Jahres erst gültig ist. Doch war diese Ergänzung der internationalen Cocom-Liste wie der deutschen Ausfuhrliste bereits 1985 in der Diskussion - ein Argument, mit dem die USA dem Auswärtigen Amt im Nacken saß.

Doch das Wirtschaftsministerium stellte sich stur: die Rechtssituation sei „eindeutig„; das AA versuche mit „untragbaren Argumenten“ und ohne Sachkenntnis eine Genehmigungspflicht „zu konstruieren“, die Anlage diene der „Schwerwasserreinigung“ und das damit erzeugte Tritium -Gemisch sei harmlos, außerdem sei die NTG nur gegen „volle Entschädigung durch die Bundesregierung“ bereit, auf den Auftrag zu verzichten.

Für das 18 Millionen schwere Bombengeschäft machte sich am 7.Mai 1985 auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Richard Bayha stark: „Unter dem Gesichtspunkt des Arbeitsmarkts“ wäre es „bedauerlich“, wenn der Auftrag der NTG aus seinem Wahlkreis „an die ausländische Konkurrenz verloren ginge“, schrieb Bayha ans Wirtschaftsministerium. Wenige Wochen bevor das Ministerium der NTG schließlich am 25.Mai 1986 grünes Licht gab - keine Genehmigung erforderlich -, versuchte das AA noch einmal mit einem Schnellbrief zu intervenieren: „Die amerikanische Besorgnis richtet sich insbesondere auf die Möglichkeit der Gewinnung konzentrierten Tritiums, das in der Kernwaffenentwicklung verwandt werden könnte... Es wäre der Glaubwürdigkeit der deutschen Nichtverbreitungspolitik abträglich, wenn der Eindruck entstünde, die Bundesregierung lasse bedenkenlos die Ausfuhr“ einer derartigen Anlage zu.

Wie sehr der Fall NTG, von dem nun niemand etwas gewußt haben will, aus dem Behördenalltag herausstach, hatte bereits der Vertreter des Eschborner Bundesamts für Wirtschaft, Manfred Ruck, im September vor dem Atom-Ausschuß eingräumt: In verklausulierter Form kam der Fall damals zur Sprache, und Ruck sagte, dies sei das einzige Beispiel für einen „Bewertungsunterschied“ im Nuklearexport zwischen dem AA und seiner Behörde gewesen.

Die Lieferungen der NTG an Pakistan, Indien und Südafrika sei der „bisher gravierendste Verstoß gegen das Außenwirtschaftsgesetz durch den illegalen Export von Waren, die der Kernenergieliste der Außenwirtschaftsverordnung unterliegen“, sagte der SPD-Abgeordnete Harald Schäfer.

Töpfer, Haussmann, der hessische Umweltminister Karlheinz Weimar und der Leitenden Oberstaatsanwalt vom Landgericht Hanau, Farwick, sollen zu dem Vorfall vor dem Bundestags -Atomuntersuchungsausschuß Stellung nehmen, verlangte der Grünen-Bundestagsabgeordnete Otto Schily. Als Termin für die geforderte Sondersitzung schlugen sie den 6. Januar vor. Sollte NTG durch illegale Exporte gegen den Atomsperrvertrag verstoßen haben, so sei dies ein Verstoß der Bundesrepublik, weil der Staat seiner Aufsichtspflicht nicht nachgekommen sei, sagte Schily. Joschka Fischer erklärte, offenbar werde „die Hackfleischverordnung“ strenger kontrolliert als Atomfirmen.

Die Grünen fordern den Entzug sämtlicher Umgangsgenehmigungen für alle Atomfirmen mit spaltbarem Material, bis deren Zuverlässigkeit erwiesen sei.

Am Donnerstag distanzierte sich das „Deutsche Atomforum“, von der NTG. Es sei nicht zutreffend, daß dieses Unternehmen, nur weil es gelegentlich Lieferungen auch an die kerntechnische Industrie vornehme, zum engeren Kreis der sogenannten Atomindustrie zu rechnen sei, hieß es in einer Erklärung.

Charlotte Wiedemann/Michael Blum