Swinging Metropolis

■ Vom Blasen des Kammes zum Streichersatz

Mit Sinn (Raum war zu füllen), doch ohne Verstand, mogelte sich in Folge zehn ein Foto, das dorten nichts zu suchen hat. Der junge Mann mit der runden Brille heißt Julian Fuhs, und da er nun schon mal auf'm Tapet hockt, lasset uns die Gelegenheit nutzen, ihn kennenzulernen.

Bevor ihn die Nazis aus seinem Künstlerlokal am Tauentzien

-wo es oft heißt: „Julian Fuhs spielt bei Julian Fuhs“ ekeln, brilliert der deutsch-amerikanische (ja, auch er!) Pianist als einer der besten Bandleader mit hottester Tanzmusik. Nebst Eric Borchard, Alex Hyde und noch'n paar steht er in den röhring Twenties an innovativer Spitze. „Alle Tanz- und Fuhs-Freunde erwarten mit Spannung die ersten Platten dieser Kapelle, die durch ihren unerschütterlichen Rhythmus und musikalisch interessanten Aufbau allen Tanzlustigen eine besondere Freude sein werden“, hudelt die zeitgenössische Presse lob. Die Julian Fuhs Follies Band verwendet bereits Dämpfer für die bisweilen „growlenden“ Trompeten, Klarinettist bzw. Saxophonist glänzen mit dem sogenannten „Slaptongue„-Stil, „Doo Wacka Doo“ sagt die Posaune, und vorm Kammblasen (Kazoo) schrecken sie auch nicht zurück. Noch vor dessen Popularisierung durch Herrn Armstrong pflegen Fuhsens Jungs den ScatGesang; zum instrumentaleffektigen Repertoire gehört überdies der „Squawker“, ein mittlerweile ausgestorbenes Quäkophon, das der Drummer nebenbei zu blasen hat. All dies gilt 1925 selbst in den USA als hochmodern. Immer die Ohren vorn, kann Fuhs denn auch dem bombastischen, sinfonie -heischenden Orchesterjazz eines Paul Whiteman nicht widerstehen. Da geht's ihm wie vielen, er bemüht sich um Streicher und rüstet auf.

Whiteman, fett und nett und weiß, ist es, der „den wilden Jazz kultiviert und gezähmt hat“. Als der amerikanische „King of Jazz“ 1926 im traditionsbefrachteten „Großen Schauspielhaus“ hinter der Weidendammer Brücke debutiert, sind alle hin- und hergerissen. Fast alle, denn „als er (...) den Liebestraum von Liszt und den Pilgerchor aus Richard Wagners Tannhäuser in „verjazzten“ Versionen darbot, verstimmte er einen Teil seiner Zuhörer, die noch nicht so weit akklimatisiert waren, um selbst der relativ gefälligen „Jazz„-Musik Paul Whitemans folgen zu können. Die Verjazzung von Klassikern war eben etwas Ungeheuerliches in Deutschland und Wasser auf die Mühlen nationalistischer Kulturapostel. Dabei hatte es Whiteman so gut gemeint, aber nicht mit dem tierischen Ernst von Intoleranten gerechnet, die die semisymphonischen Surrogate der Whiteman-Band übelnahmen“ (Horst H. Lange). Das teutsche Zeugnis ist mal wieder unterzeichnet. Interessant dabei, daß jede Menge deutschstämmiger Musiker seinem meterlangen Taktstock gehorchen; als er sie bittet, sich zu erheben, sind's runde fünfzig Prozent, unter ihnen Startrompeter Henry „Hot Lips“ Busse aus Leipzig.

Nörgelt 1926 das stieselige Pseudopatriotenpack, so werden bald die Jazzpuristen ihre elitären Nasen rümpfen - was dem Siegeszug des großen jazzigen Instrumentaltonwerkes keinen Abbruch tut. Bester Einheimischer, der statt zu plagiieren tatsächlich einen eigenen Stil entwickelt, ist Mitja Nikisch, ehemaliger Konzertpianist des Leipziger Gewandhaus-Orchesters. Er schaut sich monatelang in Süd und Nordamerika um, begeistert sich bei dieser Gelegenheit für die neuen, rasanten Rhythmen und gründet einen Klangkörper, den er schlichtweg Jazz-Symphonisches Orchester tauft.

Für ihn und ihn und ihn bieten sich neben entsprechenden Konzertveranstaltungen besonders die Hotels der Stadt als lukrative Spielstätten an. In einer Zeit, da Deutschland mit zehn Millionen Schallplatten der größte Exporteur noch vor England und den USA ist (viele gastierende Künstler nehmen hier auch Tonkonserven auf), besitzt jede namhafte Edelherberge ihre Stammkapelle.

Zum Fünf-Uhr-Tee spielen auf: im Hotel Adlon Mareik Weber, im Esplanade Bernhard Ette, im Eden-Hotel die Jazzband Fred Roß (alternierend mit Juan Llossas) und im Palais am Zoo Julian Fuhs mit seiner Band.

Norbert Tefelski