Eine ausgestorbene Spezies

■ Bericht eines ehemaligen syrischen Zensors über die syrischen Verhältnisse für Journalisten

Zensur, wie wir sie heute in Syrien kennen, begann mit dem ersten Coup d'Etat von 1947, angeführt von Housni al-Zaim. Mit jedem neuen Coup wuchs die Zensur und wurde strikter. In der Zeit des bisher letzten Coups, der von Hafiz al-Assad 1970, hatte sich die Staatsstruktur selbst zu einem umfassenden Kontroll- und Zensurapparat verfestigt.

Von der ersten Schulklasse an werden Akten über die Kinder angelegt, die sie bei jedem Schulwechsel mit sich schleppen. Dieses System, mit dem 1979 begonnen wurde, stellt sicher, daß die Behörden über alle Aktivitäten, Freunde und andere wichtige Einzelheiten informiert sind. Lehrer und Schuldirektoren sind für die Zusammenstellung dieser Akten verantwortlich - und einige Lehrer haben damals ihren Beruf aufgegeben, um nicht zu Spionen in ihren Schulen werden zu müssen. An den Universitäten arbeitet die Hälfte der Lehrenden für den Geheimdienst. Heutzutage gilt man in Syrien zudem nicht mehr als unschuldig, solange keine Schuld bewiesen ist; der Angeklagte muß umgekehrt stichhaltig nachweisen, daß Vorwürfe des Geheimdienstes gegen ihn nicht den Tatsachen entsprechen.

Nach syrischen Journalisten zu fragen, ist ganz und gar sinnlos, denn es gibt in Syrien keine Journalisten mehr. Wirkliche Journalisten sind entweder tot oder leben im Exil, wo sie für arabische Zeitungen schreiben, die entweder im Westen oder im Nahen Osten publiziert werden. Der Staat hat sich derweil eine neue Generation von „Journalisten“ herangezogen. 1975 wurde beispielsweise ein neuer Universitätsabschluß für Journalisten eingeführt; sowohl der Lehrkörper als auch die Curricula werden dabei sorgfältig vom Staat ausgesucht und kontrolliert. Wenig später wurden Reporter und Journalisten zu direkten Staatsangestellten gemacht; Redakteure müssen Mitglied in der Ba'ath-Partei sein.

Ich wurde 1963 Chefredakteur der Wochenzeitschrift 'al -Mawqef al-Arabi‘, später einer Kinderzeitschrift und eines weiteren Kulturmagazins. Diese Publikationen sind alle im Besitz der Regierung, und jedesmal, wenn ich aus der Reihe tanzte, verlor ich meinen Job und kriegte eine Schreibtischarbeit im Informationsministerium, wo ich entweder nichts tat, im Zensurbüro arbeitete oder einfach zu Hause blieb und mein Gehalt einstrich.

Zum Bruch kam es 1977 aufgrund einer politischen Kolumne, die ich regelmäßig im Wechsel mit einem Kollegen schrieb. Nachdem ich kritische Bemerkungen über den Schah von Iran gemacht hatte, erließ man ein Schreibverbot gegen mich. Die Chefredaktion der Zeitschrift 'al-Marifa‘ verlor ich, nachdem ich Teile aus dem Werk eines Schriftstellers aus dem 19.Jahrhundert darin hatte abdrucken lassen, in denen die Menschen aufgerufen werden, sich aus dem Zustand duldsamer Untertänigkeit und aus unterdrückender Herrschaft zu befreien. Obwohl diese berühmten Zeilen aus dem 19.Jahrhundert in jeder syrischen oder arabischen Bibliothek erhältlich sind, wurde ich zum Geheimdienst gerufen und wegen dieses Abdrucks und eines anderen Textes, der von mir in 'al Dastour‘ (London) erschienen war, verhört. Am Ende dieses Verhörs bedeutete man mir, daß Leute wie ich in Syrien nichts verloren haben - daraufhin verließ ich das Land.

Das Resultat solch strikter Maßnahmen war insgesamt ein Exodus syrischer Journalisten nach Europa oder in die Golf -Staaten, wo sie in verschiedenen arabischen Publikationen in ihrem Beruf weiterzuarbeiten versuchen. Wer das Land nicht aufgeben wollte, mußte den Beruf aufgeben. Da diese Situation seit mehr als 25 Jahren anhält und sich ständig verschlechtert hat, kann man sagen, daß Journalisten in Syrien zu den ausgestorbenen Arten zählen; sie sind entweder sehr alt, tot oder exiliert.

Früher hat es eine ganze Reihe von Zeitungen und Zeitschriften in privater Hand gegeben, inzwischen jedoch gehören alle Periodika der Regierung beziehungsweise ihren diversen Ministerien.

Überregionale Zeitungen sind: 'al-Ba'ath‘, Organ der regierenden Partei, herausgegeben in Damaskus; 'Tishreen‘ zur Repräsentation des Präsidenten-Palastes, ebenfalls herausgegeben in der Hauptstadt; und 'al-Thawra‘, herausgegeben vom Informationsministerium. Regionale Zeitungen erscheinen in den Städten Homs, Aleppo, Hama und Lazikia - alle sind im Besitz der Regierung. Weiterhin publizieren das Informationsministerium und die offizielle Schriftstellergewerkschaft je vier Zeitschriften und die Armee fünf. Untergrundzeitungen gibt es in Syrien nicht.

Was arabischsprachige und ausländische Periodika, die außerhalb Syriens publiziert werden, angeht, so gilt die Faustregel, daß ihre Einfuhr strikt verboten ist. Ausländische Zeitungen können sich um Vertrieb in Syrien bewerben, indem sie ein Antragsformular ausfüllen und einige Nummern zur Ansicht vorlegen. Das Zensurbüro im Informationsministerium antwortet darauf - oder auch nicht; in jedem Fall gilt aber das Verbot, solange keine ausdrückliche Erlaubnis vorliegt. Falls eine Erlaubnis tatsächlich erteilt wird, heißt das jedoch nicht, daß eine Zeitung oder Zeitschrift automatisch vertrieben werden kann, denn jede einzelne Nummer muß vorher die Zustimmung des Zensors erlangen.

Falls ein Artikel staatsbeleidigend ist, wird die gesamte Ausgabe nicht vertrieben. In manchen Zeitungen, wie zum Beispiel der libanesischen 'al-Safir‘, stehen oft Artikel, die die syrische Regierung unters Volk gebracht haben möchte, neben anderen, von denen sie es durchaus nicht wünscht. Normalerweise wird die Ausgabe dann nach Entfernung des unerwünschten Textes zum Vertrieb freigegeben. Das von 1974 stammende Gesetz über den Import von Periodika wurde später auch auf Bücher ausgedehnt. Vor dem Vertrieb geht jedes Buch zum Zensor, dessen Stempel freigibt oder verbietet.

Gedrucktes, das per Post an Privatpersonen geschickt wird, ist erfaßt durch ein Zensurbüro in der Post. Tonbänder, Schallplatten und Videokassetten werden durch ein Zensurbüro im Kulturministerium geschleust. Es gibt zwar private Verlage in Syrien, aber das heißt nicht viel, da jedes Manuskript dem Informationsministerium vorgelegt werden muß; dort wird jede Seite, die freigegeben ist, gestempelt. Nach Drucklegung wird das Buch zusammen mit dem Manuskript noch einmal vorgelegt, damit kontrolliert werden kann, ob Veränderungen oder Zusätze gemacht worden sind. Dies gilt für alles Gedruckte - selbst für Regierungsverlage, die gelegentlich Publikationen von halboffiziellen Körperschaften wie dem Schriftstellerverband oder dem Kulturministerium herausgeben. Wenn ein Text fragwürdig erscheint, wird er an das Kulturbüro der Ba'ath-Partei weitergeleitet, dort fällt dann die Entscheidung über eine Veröffentlichung.

Eine Liste mit den Titeln verbotener Bücher wird regelmäßig an die Abteilung für politische Sicherheit im Innenministerium geschickt. Diese Abteilung schickt dann ihrerseits zivil gekleidete Herren durch die Buchhandlungen, um sicherzugehen, daß nirgends verbotene Bücher im Verkauf oder auch nur auf Lager sind.

Bücher und Zeitschriften, die man über die Grenze nach Syrien mitgenommen hat, werden normalerweise sofort beschlagnahmt. Man bekommt eine vom Informationsministerium gestempelte Bescheinigung, nur bei Vorlage dieser Bescheinigung erhält man bei der Ausreise seine Bücher zurück. Kein Buch oder Periodikum darf ohne Erlaubnis des Innenministeriums aus Syrien ausgeführt werden. Schlüsselpositionen in Radio und Fernsehen sind von Mitgliedern der Ba'ath-Partei besetzt. Dennoch wird alles auch noch von verschiedenen Zensur-Komitees durchgesiebt, vom Schlager über wissenschaftliche Programme bis hin zu den Nachrichten. Um überhaupt noch einigermaßen auf dem laufenden zu bleiben, hört man in Syrien die Nachrichtensendungen von „BBC-Worldservice“, „Radio Monte Carlo“, der „Stimme Amerikas“ und ägyptisches Radio.

Filmzensur-Ausschüsse kontrollieren die Scripte jedes einzelnen Films, bevor überhaupt Dreherlaubnis erteilt wird; der fertige Film wird wiederum auf Änderungen hin angesehen. Einige Filme werden vom Staat produziert und gehen durch die internen Zensurausschüsse der entsprechenden „Allgemeinen Organisation für das Kino“. Ebenso wie für Bücher und Periodika gilt ein staatliches Monopol auch für den Import von Filmen. In Syrien entgeht der Zensur nichts und niemand

-selbst die Freitagspredigt in der Moschee muß dem Ministerium für religiöse Angelegenheiten schriftlich vorgelegen haben und abgesegnet sein, bevor sie gehalten werden darf.

Eine große Schwierigkeit ist, daß es überhaupt keine Richtlinien gibt, was in einem künstlerischen Werk stehen darf und was nicht. Alles ist der Willkür einzelner ausgeliefert: dem Zensor, dem prominenten Parteimann, dem Präsidenten, dem Bruder des Präsidenten und so weiter. Manchmal erlauben die Behörden - wenn sie gerade mal wieder als „revolutionär“ gelten wollen - Lieder wie die von Scheikh Imam aus Ägypten oder Verse des irakischen Dichters Mudhafar al-Nawab (die sonst überall in der Region verboten sind), zumindest solange sie nichts Kritisches über die Ba'ath-Partei äußern. Sie erlauben sogar dem berühmten syrischen Schauspieler Ghawar al-Toushi, Stücke auf die Bühne zu bringen, die den Mangel an Demokratie im Nahen Osten beklagen und arabische Regierungen im allgemeinen kritisieren. Solange sie das nicht direkt betrifft, darf syrische Kunst also - im Gegensatz zu allen anderen Sparten des Lebens - manchmal ein Körnchen Wahrheit enthalten.