Palme-Mordfall: Der ideale Täter

Verdächtigter im Mordfall Palme weiter in U-Haft / Indizien reichen nicht für Anklage / Trotz einer ausgesetzten Belohnung von 50 Millionen Kronen: Objektive Beweise und Mordwaffe fehlen  ■  Aus Stockholm Reinhard Wolff

Der am 14.Dezember vergangenen Jahres verhaftete mutmaßliche Mörder des schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme bleibt weiter in Untersuchungshaft. Das hat am Samstag ein Stockholmer Gericht entschieden. Der 41jährige Mann wurde bislang nicht angeklagt; er bestreitet jede Verbindung mit dem Attentat vom 28.Februar 1986. Die Haft des Mannes war am 21.Dezember bereits ein erstes Mal verlängert worden und gilt jetzt bis zum 13.Januar.

Was den Mann in den Augen der Polizei nach wie vor verdächtig erscheinen läßt, sind die Indizien, die zu seiner Verhaftung geführt hatten, sowie die Tatsache, daß er sich in der Mordnacht in der Nähe des Tatorts aufgehalten hatte. Für eine Anklage oder gar Verurteilung wird das wahrscheinlich nicht ausreichen. Das hat die schwedische Boulevardpresse allerdings nicht daran hindern können, den Mann als Täter abzustempeln.

Selbst wenn Berichte zutreffen sollten, daß er von mehreren Zeugen als Täter wiedererkannt wurde, könnten sich diese Zeugenaussagen in einem Prozeß schnell als gegenstandslos herausstellen: Bereits vor den jeweiligen Gegenüberstellungen hatte die Polizei das Bild und den Namen des Verdächtigten an die Medien weitergegeben. Die schwedische Presse veröffentlichte das auffallende Konterfei - entsprechend den presseethischen Regeln - zwar nicht, aber auf den Titelseiten dänischer und norwegischer Zeitungen prangte sein Bild. Kein Hinweis auf ein Motiv, keine Tatwaffe, kein Tip aus der Unterwelt oder dem Bekanntenkreis des Verdächtigten - trotz einer ausgesetzten Belohnung von 50 Millionen Kronen. Die Polizei fand, so berichteten Stockholmer Zeitungen am Samstag, lediglich eine Blutspur an den Kleidungsstücken des Mannes. Über deren Herkunft besteht aber noch Unklarheit.

Nun könnte der alkohol- und drogensüchtige Mann zwar ein Einzeltäter gewesen sein, der sich niemandem offenbarte und geschickt alle Spuren verwischte. Die Tat müßte sich demnach etwa so zugetragen haben: Der Mann sieht zufällig das Ehepaar Palme ins Kino gehen, faßt einen Entschluß, beschafft sich eine geeignete, im Schwarzhandel sündhaft teure Schußwaffe. Nach dem Ende der Vorstellung verfolgt er das Ehepaar, wartet einen geeigneten Platz ab, gibt aus einer Entfernung von weniger als einem halben Meter ganz cool einen profihaften und mit Sicherheit tödlichen Schuß ab und verschwindet spurlos auf einem offensichtlich schon vorher ausgekundschafteten Fluchtweg.

Der Mann, der dieser Tat verdächtigt wird, hatte bislang alle seine Straftaten im Alkohol- oder Drogenrausch verübt, meistens handelte es sich dabei um Affekthandlungen, bei denen ihm völlig unbekannte Personen zufällige Opfer geworden waren. Jedesmal war er ziemlich stümperhaft vorgegangen. 63mal wurde er in den letzten Jahren einer Straftat überführt. Auch die Geschichte vom „Palme-Haß“, die anfänglich verbreitet worden war, scheint der Phantasie von Boulevardjournalisten entsprungen zu sein. Aus Interviews mit ihm nahestehenden Personen ergibt sich im Gegenteil, daß er Olof Palme eher bewunderte.

Wenn nicht nur die Boulevardpresse, sondern auch die Ermittlungsbehörden wild entschlossen zu sein scheinen, gerade an diesem Tatverdächtigten festzuhalten, scheint dem der extreme Erfolgszwang zugrundezuliegen, unter dem die Sicherheitsbehörden stehen. Leitung und Personal wurden mehrfach ausgewechselt, wichtige Spuren zerstört. Bei Regierung, Medien und Bevölkerung in Verruf geraten, kam den Ermittlungsbehörden die Verhaftung des „41jährigen“, so die durchgängige Presseumschreibung, wie gerufen.

Recht doppeldeutig äußerte sich die ehemalige Justizministerin Anna-Greta Leijon, gestürzt über ihre „Privatermittlungen“ im Mordfall Palme. Der 41jährige alkohol- und drogenabhängige, mehrfach vorbestrafte Mann sei schon der „ideale Täter“.