Kunst, der Bahnpolizei zu entkommen

Hamburgs Graffiti-Writer malen bunte Buchstaben in graue Züge: eine Sonderkommission der Bundesbahn ermittelt / Von Writern, Privatgaragen, Babus und: die Wahrheit über München  ■  Von Maik Schmitz

S-Bahnhof Stellingen in Hamburg - auf dem Bahnsteig kaum Fahrgäste. Stefan, Axel und Niels warten auf den Zug. Da kommt sie, die S 3 nach Neugraben. Es ist eine alte Bahn. „Alte Bahnen sind uns am liebsten“, sagt Axel und stürmt den Zug.

Die Türen gehen zu, ein Blick in den Wagen - er ist leer. Sobald der Zug den Bahnhof verläßt treten die drei in Aktion. Mit frisch gefülltem Marker werden tags (sprich: tägs) an die Innenwand geschrieben. Tags - das sind Pseudonyme der Graffiti-Maler aus der ganzen Welt. Schnell hingeschriebene Namen. Wie märchenhafte Hieroglyphen. Meist können sie nur von Graffiti-writern selbst entziffert werden. Wer am meisten getaggt hat, ist king der Szene.

Graffiti, das war jahrelang Ausdruck von Frust und Angst: „You write - you fight“ war Ende der 60er das Mottto von Straßenkämpfen. Heute wollen Graffiti-Maler vor allem fame, also Ruhm erwerben. Haben Hamburgs Sprayer nicht doch politische Hintergedanken? „Nein“, sagt Niels, „wir wollen nur die triste City verschönern. Aber wenn wir irgendwelche Nazi-Parolen finden schmieren wir sie über.“

Der Bundesbahn jedoch - Eigentümerin der Hamburger S-Bahn -Züge - sind die hübsch gemeinten Schriftzüge nicht willkommen. Seit rund zwei Monaten sind darum Bahnpolizisten abgestellt, um den einen oder anderen writer auf frischer Verschöner-Tat zu ertappen. Man führt auch Hausdurchsuchengen durch, um wilde Sprayer zur Strecke zu bringen. Daß sich in Hamburg eine Sonderkommisssion „Graffiti“ gebildet hat, das

möchte die Pressestelle der Bahn nun auch nicht so formulieren. „Beamte“, so die Sprachregelung, seien „im Rahmen ihrer Dienstpflicht“ beauftragt worden, das Problem der „Wandbeschmutzung in Zügen und Bahnhöfen“ zu bearbeiten. Bodo Claußen, einer der Graffiti-Jäger, sagt zur Arbeit der Hamburger Sonderkommision schlicht: „Wir sind vier Beamte, die im Moment speziell die Arbeit der Graffiti-Schreiber bekämpfen.

Insgeheim, so Claußen, findet er die Spraykunst gar nicht so schlecht: grellbunte Buchstabenkombinationen auf tristen, öden Brandmauern. Aber beruflich muß er Jagd auf die writer machen. „Es kommt darauf an, ob

es sich um Sachbeschädigung handelt oder nur um Schmierereien, die mittels Reinigung wieder entfernt werden können. Ist es eine Sachbeschädigung, wird eine Anzeige gefertigt und gegen die Person ermittelt.“

Wird ein Sprayer auf frischer Tat ertappt, hat er mit hohen Schadensersatzforderungen zu rechnen. Beispiel: Peter. Der nennt sich Senic, ist 17 Jahre alt und absolviert eine Lehre als Speditionskaufmann. Bereits viermal hat er sich beim Sprayen erwischen lassen. Nun rechnet Bahnpolizist Claußen mit einem Schaden von rund 300.000 Mark. Sind die writer in Claußens Augen kriminell? „Ich meine, daß die Jugendlichen die

Folgen ihrer Taten nicht einsehen. Ein Krimineller sieht diese Folgen wohl ein.“

Aber selbst wenn das gerichtlich festgelegte Strafmaß nicht allzu groß ist, sind die Regressforderungen, so Claußen, sehr hoch. Das verschönernde Überlackieren einer S-Bahn kann den Künstler bis zu 100.000 Mark kosten. Das Entfernen eines Quadratmeters Graffiti auf Mauern mittels Sandstrahl wird mit rund 70 DM in Rechnung gestellt. Für Entfernung von Gesprühtem auf S-Bahnen berechnet die Bundesbahn 68 DM pro Arbeitsstunde. Bezahlen müssen die Rechnung meist des writers Eltern. Deren Traum vom Einfamilienhaus mit Doppelgarage

und Gärtchen muß dann schon mal verschoben werden.

Hin ist auch der gute Ruf. Welcher Chef stellt schon einen Lehrling ein, dem im Führungszeugnis bescheinigt wird, ein ordentlicher Sprayer zu sein?

Wolfgang Ollesch von der Hamburger Bahnpolizei, der writer Peter-Senic schon gut kennt, bat ihn, für einen Freund die Garage zu besprühen. Das makellose Unternehmen Deutsche Bundesbahn, das bahnverzierende Sprayer taktisch klug dazu bewegt, nur noch garagenlegal zu sprühen?

In München gibt es schon seit 1985 eine Sonderkommission Graffiti. Bahnpolizist Wittmann von der SoKo München: „Inzwischern hat sich das Problem weitestgehend auf Hamburg verlagert. Aber solange es Graffiti gibt, wird es auch Leute geben, die dagenen ermitteln.“

Die Münchener protzen bereits mit einer Aufklärungsrate von rund 80 Prozent. Dennoch gibt es in München immer noch die meisten writer, was wohl letztlich auch auf den Räuber -und-Gendarm-Gefühle provozierenden Ermittlungs-Fleiß der Polizei zurückzuführen ist. „Es ist ein Spiel“, sagt ein Münchener Sprayer. „Wir kennen die Babus (Bahnbullen, d.Red.) und ihre Macken schon sehr gut. Es macht Spaß sie zu ärgern.“

Trotzdem haben viele aufgegeben. Einer der besten Münchener Sprayer landete gar in der Nervenklinik. Der alltägliche Kampf gegen Babus kann einen um den Verstand bringen. Eine seiner letzten Arbeiten hat er in der Nervenanstalt hingesprayt. Danach hat er sich aus dem Fenster gestürzt und sich beide Beine gebrochen. Der Rechtsstaat hat seine Aufgabe brav erfüllt. Ein Sprayer weniger.