Kein Platz für türkische Gräber

■ Der islamische Friedhof am Columbiadamm ist hoffnungslos überfüllt

„Wenn das so weitergeht“, sagt Hayrettin Salli, „legen wir dem Senat unsere Toten vor das Rathaus!“ Was den ansonsten überaus bedachten Vorsitzenden der Türkisch-Islamischen Union (DITIB) in Rage versetzt, ist die Zukunft des „Sehitlik“, des islamischen Friedhofs am Neuköllner Columbiadamm.

Die Kapazitäten des mit 220 Gräbern belegten, bis vor kurzem einzigen islamischen Friedhofs in Berlin und des ältesten in Deutschland, sind längst erschöpft. Nach jahrelangem Hin und Her erhielt die eng mit dem türkischen Konsulat zusammen arbeitende DITIB ein Ausweichgelände. Es befindet sich auf dem neu entstandenen „Landschaftsfriedhof“ in Gatow.

Dies ist die schlechteste aller Lösungen, findet Salli. Seine Glaubensbrüder und -schwestern hatten sich ein Areal in der Nähe der Bezirke Neukölln, Kreuzberg oder Schöneberg gewünscht. Aber dort, wo der Großteil der über 150.000 Berliner Muslimen lebt, ließ sich - nach dem Flächennutzungsplan - kein islamischer Friedhof einrichten. Jetzt müssen die Leichname von Neukölln, wo in der Regel die Totenfeier stattfindet, nach Gatow gebracht werden: eine Wegstrecke, die typisch scheint für die Distanz Berlins zu seinen Muslimen.

Das war nicht immer so.

Im 18. Jahrhundert gab es eine regelrechte Türkeneuphorie. Adelskreise spöttelten: „Datteln essen gehört jetzt zum guten Ton in Berlin, und die Gecken pflanzen sich einen Turban auf's Haupt.“

Der „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I. integrierte türkisch-islamische Soldaten in sein Heer, die ersten Gastarbeiter an der Spree (was hat das mit Euphorie zu tun? sezza). Sein Sohn Friedrich versprach den Türken, ihnen Moscheen zu bauen, wenn sie in sein Land einwandern würden.

Der spätere Kaiser Wilhelm I. besiegelte schließlich die deutsch-osmanische Freundschaft: 1866 übereignete er der Hohen Pforte in Konstantinopel jenes Stückchen Neukölln am Columbiadamm. Bis heute ist es türkisches Hoheitsgebiet.

Hier liegen nun Seite an Seite der türkische Soldat der deutschen Partnerarmee aus dem Ersten Weltkrieg, der Kaufmann aus Jaffa oder Gastarbeiterkinder, denen Berlin bereits zur Heimat geworden war.

In der Mitte all dieser Ruhesitze prangt das Grabmal des Staatsmannes und Mystikers Ali Aziz Effendi, des ersten Gesandten Konstantinopels in Preussen.

Der Islam verbietet, daß diese Gräber, wie es bei Christen üblich ist, nach Ablauf einer bestimmten Frist, wieder eingeebnet werden. Allerdings werden heute die meisten der verstorbenen Türken in die Türkei überführt oder aber in Berlin auf nicht-islamischen Friedhöfen bestattet. Daran wird wohl auch der neue Standort Gatow nichts ändern.

Jürgen Schulz