Mit dem Plastikauto in die neunziger Jahre

Im niederländischen Bergen op Zoom trimmen Kunststoffexperten die Automobilindustrie auf Plastik / Längere Haltbarkeit wird in Kauf genommen  ■  Von Henk Raijer

Der Plastik-Trabbi aus der VEB-Produktion bekommt ab 1993 Konkurrenz: Europas Automobilhersteller erwärmen sich in zunehmendem Maße für das Kunststoffauto. Das Objekt ihrer Begierde, das Modell Vector II, wird vermutlich im November nächsten Jahres auf der Kunststoffmesse in Düsseldorf der Öffentlichkeit vorgestellt und befindet sich zur Zeit noch im werkseigenen Labor im niederländischen Bergen op Zoom. Hersteller des Vector ist eine Kunststoff-Tochter des US -Konzerns General Electric.

Der technische Leiter des „automotive center“ von GE Plastics Europe, Dick McKechnie, der geistige Vater des ersten „Vector“, wagte vor neun Jahren den Sprung vom Automobilhersteller British Leyland in die ungewisse Plastikwelt. Der erste „Vector“ ist ein bescheiden ausgestatteter Mittelklassewagen, der von GE Plastics selbst gebaut wurde und wie viele andere GE-Produkte nie in Serie gehen wird. Zwei Millionen Gulden hat die Entwicklung des Modells gekostet. Dieselbe Summe hat GE in das Nachfolgemodell Vector II investiert.

Nun ist ein Auto aus Kunststoff an sich nichts besonderes, ist doch die Innenausstattung vieler Modelle ohnehin seit geraumer Zeit aus Plastik. Die Renault-Tochter Matra sowie der Pontiac Fiero von General Motors haben vor Jahren schon Modelle in Serie gehen lassen. Die Automobilhersteller sind denn auch nicht vorrangig an den beiden Vector-Modellen insgesamt als vielmehr an den Produktionsentwürfen interessiert. Jedes Teil wurde so entworfen, daß es unmittelbar in bestehende Produktionsschienen aufgenommen werden kann.

Noch ist unklar, ob sich die Hersteller mit der Produktion dieses Autos nicht ihr eigenes Grab schaufeln. Schließlich sorgt nicht nur das geringere Gewicht für sparsameren Energieverbrauch - das Plastik sorgt auch dafür, daß die Kiste nicht rostet, das Fahrzeug länger hält und damit Neuanschaffungen seltener werden.

Wie attraktiv dagegen ist für die Automobilindustrie ein verschleißfreies Modell? McKechnie: „Es geht um die Investition. Wenn man ein neues Auto auf den Markt bringt, kostet das inklusive aller Kosten, die gemacht werden müssen, um den Wagen in Produktion gehen zu lassen, etwa eine Milliarde Dollar. Auch wenn Stahl kostengünstiger ist als Kunststoff, im Schnitt erfordert Stahl viel mehr Verarbeitungsgänge und Montageschritte. Eine Produktionsstraße für Kunststoffteile ist kürzer und billiger.“

Ein wichtiger Gesichtspunkt bei der Herstellung dauerhafter Konsumgüter ist die Ästhetik. Während sich bei herkömmlichen Mittelklasse-Autos die sogenannten GTI-Ausgaben nur noch durch unterschiedliche Rennstreifen voneinander unterscheiden, ist es laut McKechnie bei Kunststoff leichter möglich, Abwechslung in die Modelle zu bringen - für den Hersteller offenbar ein hinreichender wirtschaftlicher Ersatz für die längere Haltbarkeit der Fahrzeuge. Autos sind Modeartikel, und durch die Fabrikation von Kunststoffautos ist die Industrie in der Lage, ein Modell in relativ kurzen Zeiträumen jeweils wesentlich neu zu gestalten, um damit den Käufer von der „individuellen Identität“ eines bestimmten Modells zu überzeugen.

GE Plastics beherzigt eine eigenwillige Firmenstrategie, um Kunden zu werben. Pressereferent Willem van der Velde räumt ein, daß GE Plastics in manchen Fällen gezielt provoziert, um Aufmerksamkeit für ihre Produkte zu erzwingen. „Wir hatten mal eine Waschmaschine und einen Kühlschrank aus Kunststoff produziert und sie auf der Haushaltsmesse präsentiert. Die Vertreter von Bosch und Philips belächelten unsere Modelle und meinten nur: 'Ihr produziert Rohstoffe, wir die Maschinen.‘ Heute, drei Jahre später, führen wir Gespräche mit allen bedeutenden Waschmaschinenproduzenten über Anwendungspatente, die künftig in allen Maschinen Verwendung finden werden.“ Die Auto-Spezialisten gehen noch direkter vor: Sie kaufen beim Händler ein Auto, entfernen die Teile aus Stahl und ersetzen sie durch Kunststoff. Dann bringen sie den Wagen zum Hersteller zurück und führen ihm eine verbesserte Ausgabe des eigenen Produkts vor.

Die Kooperation mit der Autoindustrie funktioniert, wenn auch GE Plastics keine Namen preisgibt. Die Ersatzteile im Labor in Bergen op Zoom verraten jedoch die Kontakte: Radkappen von Mazda, eine Kunststoffstoßstange von Hyundai, Felgen von Fiat. Die Karosseriebestandteile zeigen in Richtung Ford. Wie ein Beichtvater hütet GE Plastics die Geheimnisse einzelner Hersteller vor dem Zugriff der Konkurrenz. Pikanterweise arbeiten aber fast alle führenden Automobilhersteller mit dem Kunststoffproduzenten zusammen, ohne daß sie dies im Detail von einander wüßten. Die Fachpresse macht sich darüber lustig, daß die Automobilindustriellen offenbar glauben, jeder von ihnen habe durch die Kunststoff-Option einen Vorsprung von mindestens einem Jahr. In Wirklichkeit, so munkeln GE -Mitarbeiter, handelt es sich vielleicht gerade um zehn Minuten.

Wird in Zukunft nun ganz auf Stahl verzichtet werden bei der Automobilherstellung? McKechnie: „Nein, der Rahmen wird vorläufig aus Stahl bleiben. Das künftige Verhältnis in der Anwendung von Kunststoff und Stahl ist noch nicht definitiv ausgemacht.“ Sicher ist sich Dick McKechnie allerdings bezüglich des künftigen Siegeszugs des Kunststoffautos: Zwischen 1993 und 1995 werden massenhaft billige Kunststoffautos auf die Straße geschickt.