Tauwetter zwischen Indien und Pakistan?

Der medienwirksame Flirt zwischen Rajiv Gandhi und Benazir Bhutto strahlte auch auf die 4.Gipfelkonferenz der „South Asian Association for Regional Cooperation“ aus / Indo-pakistanisches Verhältnis maßgebend für den Erfolg des jungen Staatenbündnisses  ■  Aus Schallah Simone Lenz

In Schallah sorgt allein der allabendliche Stromausfall für eine Dosierung des Unzumutbaren: Ungeachtet der Tatsache, daß das Ereignis bereits eine Woche zurückliegt, scheinen Pakistans Fernsehprogrammgestalter noch immer von der Medienwirksamkeit des indo-pakistanischen Flirts zwischen Rajiv Gandhi und Benazir Bhutto überzeugt zu sein. Nur einen Monat nach Amtsantritt gab Pakistans Premierministerin ihr internationales Debüt vor der spektakulären Kulisse der vierten Gipfelkonferenz der South Asian Association for Regional Cooperation SAARC, die Ende Dezember in Islamabad stattfand. Angereist waren die Staatsoberhäupter der sieben Teilnehmerstaaten, neben den genannten auch Nepal, Sri Lanka, Bhutan, Bangladesch und die Malediven, um unter Vorsitz der Gastgeberin Bhutto gemeinsame Interessen, Leitlinien und bisherige Erfolge der 1980 durch Bangladesch angeregten und 1985 konstituierten Gipfelkonferenz abzuklopfen.

De facto hängt der Erfolg des jungen Staatenbündnisses vom weiteren Verlauf der indo-pakistanischen Beziehungen ab, die durch drei Kriege und ein tiefes gegenseitiges Mißtrauen strapaziert sind. Die unüberwindliche Kluft zwischen dem Hindu- und dem pakistanischen Moslemstaat bildete seit 1947 die ideologische Grundlage für die Existenz der jungen Nachbarstaaten und wird sich schon von daher nicht so schnell überprüfen lassen. Das Rührstück vom Annäherungsversuch zwischen den beiden Kindern des Indien nach der Teilung vollzog sich ganz im Glamour der für den Subkontinent so charakteristischen Hochzeitsfeierlichkeiten. Und hierzulande wird man so schnell nicht müde, die für den neuen Mittelstand obligatorischen Videoaufzeichnungen dieser ruinösen Feste zum wiederholten Mal anzusehen. Davon scheinen jedenfalls die verantwortlichen Fernsehredaktionen auszugehen und nähren so das Bedürfnis nach hausgemachter Bildschirmproduktion. Von einem Tag auf den anderen wollen sich die dem abgestürzten Autokraten Zia ul Haq eingeräumten Propaganda-Sendezeiten auch nicht durch ein ausgewogenes Abendprogramm austauschen lassen. Begleitet wird der zu olympischem Sättigungsgrad aufgelaufene TV-Marathon von einer eigens dazu komponierten Erkennungsmelodie. Und die forsche Moderation einer sich eher gewandt als charmant gebenden Jungjournalistin hinterläßt den nachhaltigen Eindruck, daß es in dem während der letzten elf Monate forciert islamisierten Staat mehr als nur eine dominante Frau gibt.

Dennoch stehen die Voraussetzungen für eine harmonische Beziehung zwischen den beiden wichtigsten Protagonisten der Region nach Pakistans Wahlentscheid gegen das fundamentalistische islamische Regime unter einem guten Stern. „Vor 16 Jahren haben meine Mutter und ihr Vater das letzte Mal ein gemeinsames Abkommen unterzeichnet, heute haben wir unsere Unterschrift unter drei Verträge gesetzt“, verkündete Rajiv Gandhi Seite an Seite mit der jungen Regierungschefin in dem von tausend Lichterketten erstrahlten Präsidentenpalast, der mit Spruchbändern und Friedensstauben ausstaffierten Retortenkapitale Islamabad. Unterzeichnet wurde ein seit drei Jahren im Entwurf vorliegendes Abkommen, das den gegenseitigen Nichtangriff von Nuklearanlagen garantiert sowie ein Kultur- und Steuervertrag.

Drei Jahrzehnte sind verstrichen, seit das letzte Mal ein indischer Regierungschef - Gandhis Großvater Nehru - dem verfeindeten Ableger einen Besuch abstattete. Einer Normalisierung der indo-pakistanischen Beziehungen standen insbesondere drei Hindernisse im Weg: Pakistans Ansprüche auf das moslemische Kaschmir, die Militärhilfe aus Washington und schließlich Pakistans Weigerung, Indiens Hegemonie in der Region anzuerkennen. Es war Benazir Bhuttos Vater, der beteuerte, Pakistan werde eher Gras fressen, als auf ein ehrgeiziges Atomprogramm und damit ein angestrebtes militärisches Gleichgewicht in der Region zu verzichten. Die in die Opposition abgedrängten religiös-konservativen Kräfte werfen heute seiner Tochter vor, zwar mit dem Andenken an ihren Vater um die Gunst des Volkes gebuhlt zu haben, die Ideale der Nationalisten indes nur allzu bereitwillig über Bord zu werfen. „Indo-pakistanische Freundschaft - aber auf wessen Kosten?“ fragen die Schlagzeilen auflagenstarker Urdu -Zeitungen. Diese Kreise hätten es gerne gesehen, wenn Benazir die Kaschmir-Frage auf dem Gipfel ins Spiel gebracht hätte.

Das SAARC-Treffen stand hingegen ganz unter dem Motto gegenseitiger Verständigung. Gorbatschows Abrüstungsinitiativen wurden auch hier als richtungsweisende Friedenspolitik gewürdigt und der Druck auf das Nord-Süd -Gefälle durch die Annäherung der Supermächte als sich abzeichnende Gefahr erkannt. Erklärtes Ziel des jungen Staatenbundes, der ein Fünftel der Weltbevölkerung beheimatet, ist die Bekämpfung der Armut. Ein Anliegen, das sich glaubwürdig nur dann vertreten läßt, wenn auf Basis normalisierter Beziehung der Rüstungswettlauf und die immens hohen Verteidigungsausgaben eingedämmt werden können. Nach der absehbaren Lösung des Afghanistan-Konflikts leisten die Grenzstreitigkeiten mit Indien insbesondere in der strategisch brisanten Siachen-Gletscherregion Vorschub, um auch künftig keine Einschränkungen des pakistanischen Verteidigungshaushalts einleiten zu müssen. Er absorbiert 40 Prozent des Gesamtbudgets und dies in einem Land, in dem lediglich acht Prozent der Bevölkerung das Privileg einer Primärschulausbildung genießen. Die Steigerung der indischen Verteidigungsausgaben für das Jahr 87/88 um drei Milliarden Dollar geht allerdings weit über die pakistanischen Gesamtaufwendungen in Höhe von 2,6 Milliarden Dollar hinaus.

Hoffnungen auf einen ernsthaften Abbau der Feindbilder, knüpfen sich jetzt an das Herzstück der SAARC-Identität: Bemühungen um wirtschaftliche Kooperation, den Abbau von Handelsbarrieren und die Förderung eines grenzüberschreitenden Arbeitsmarktes. 1988 hat zudem eine weitere Interdependenz schmerzlich zu Bewußtsein gebracht: Bangladesch stand zu zwei Dritteln unter Wasser, Indien und Pakistan waren ebenfalls von verheerenden Flutkatastrophen betroffen. Bereits vor einem Jahr wurde in Katmandu eine Forschungskommission zur Auswirkung des Energieverbrauchs und des Treibhausklimas in der Region eingesetzt. Der König von Nepal sprach das explosionsartige Bevölkerungswachstum, als einen drohenden Holocaust vor Augen führend, in seiner alarmierenden Rede an. Von dem betont guten Klima, das auf der Konferenz geherrscht haben soll, will sich hier indessen niemand so recht überzeugen lassen.