Erfolgsbilanz mit Dellen

■ AussiedlerInnen als Konjunkturfaktor / Pieroth: 1988 brachte mehr Beschäftigte und mehr Arbeitslose / Wirtschaftswachstum nicht so groß wie in der BRD

„Durch ihre Nachfrage schaffen sich Aussiedler ihre Arbeitsplätze selbst“, überraschte Wirtschafts- und Arbeitssenator Elmar Pieroth gestern auf seiner Jahrespressekonferenz die JournalistInnen. Vor allem verbessern sie die Beschäftigten-Prognose des Senators: Von den 8.000 zusätzlichen Arbeitsplätzen, die Pieroth für das soeben angebrochene neue Jahr erwartet, soll „eine vierstellige Zahl“ allein der Zuwanderung aus dem Osten zu verdanken sein, die vor allem der Bauwirtschaft zugutekommen wird.

Wenn sie für die Ankündigungen neuer Arbeitsplätze auch praktisch sind - ansonsten haben die Wanderungsgewinne dem Senator die Erfolgsbilanz eher verhagelt. 40.000 kamen in die Stadt, 12.000 davon aus Westdeutschland, 8.000 aus der DDR, rund 11.500 waren AussiedlerInnen und etwa 8.500 kamen aus dem sonstigen Ausland. Sie alle zusammen ließen die Arbeitslosenquote von 10,5 auf 10,8 Prozent emporschnellen; ähnliches wird auch für '89 erwartet. Ohne Zuwanderung, so Pieroth, hätte die Arbeitslosenquote 1988 abgenommen. Obwohl die Stadt nach der Volkszählung 40.000 zusätzliche Erwerbstätige hat, wäre die Quote immer noch über der Zehn -Prozent-Marke.

27.000 Berliner Innen sind seit mehr als einem Jahr arbeitslos; von 5.900 Schwervermittelbaren, die im letzten Jahr vom Senat gefördert wurden, hätten zwei Drittel eine bleibende Arbeit gefunden. Eine Überraschung bereitete Pieroth jedoch denen, die gerne in den öffentlichen Dienst wollen: Dort sind derzeit 5.000 Stellen unbesetzt, 1.700 davon alleine durch die Arbeitszeitverkürzung seit dem 1. Januar. Und das Wochenende wollen viele nicht im Knast verbringen: 130 Stellen in der JVA Moabit werden aus Westdeutschland besetzt.

Mit der wirtschaftlichen Entwicklung der Stadt zeigte sich Pieroth - nach einigen Rechnereien - zufrieden. Mit einem Wirtschaftswachstum von drei Prozent blieb Berlin zwar 1988 schon im dritten Jahr hinter dem Zuwachs in der BRD zurück; aber der Fünfjahres-Durchschnitt sei mit je 2,5 Prozent für Bund und Berlin gleich. In Bund wie Stadt habe das Wirtschaftswachstum im vierten Quartal '88 je drei bis 3,5 Prozent betragen - die Kluft der letzten zweieinhalb Jahre gegenüber dem Bundesdurchschnitt bezeichnete Pieroth als „Delle“.

Ausgerechnet das Wachstum im zukunftsträchtigen Dienstleistungssektor ist gegenüber dem Bundesdurchschnitt jedoch zurückgeblieben. Anderen Branchen soll es besser gehen: Weil bundesweit die Konsumgüterindustrie weniger stark wachsen und das bundesweite gesamte Wirtschaftswachstum etwas herunterdrücken werde, prognostiziert Pieroth für Berlin eine bessere Situation: Vor allem die hier dominierenden Branchen Elektrotechnik und Maschinenbau befänden sich noch im Aufschwung.

Entsprechend sehen auch zwei andere Kennziffern für die wirtschaftliche Entwicklung aus: Sowohl bei der Industrieproduktion als auch beim industriellen Auftragseingang lag Berlin 1988 deutlich über Trend. Insgesamt wurde 7.000 zusätzliche Arbeitsplätze gemeldet.

Horst Wagner, der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD, warf dem Senator vor, die Arbeitslosigkeit nicht annähernd eingedämmt zu haben. Mit der Zustimmung des Senators sei die Berlinförderung außerdem um 800 Millionen Mark reduziert worden.

diba