: „Soldaten schlugen mit Knüppeln auf uns ein“
Aus türkischer Haft Entlassener berichtet über Mißhandlungen und Gefängnisrevolte / Amnesty international protestiert gegen Staatsministerin Adam-Schwaetzer: Folter geschieht in der Verantwortung der türkischen Regierung / Özal bestreitet Verantwortung ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren
Die Frauen klammern sich an den Eisentoren des Gefängnisses Sagmacilar fest. „Mörder, Mörder“, rufen sie in die Menge der Soldaten, die wenige Meter hinter dem Eisentor in Reih und Glied aufgestellt sind. Seit dem 28.Dezember wird es Familienangehörigen wie Rechtsanwälten verwehrt, die politischen Gefangenen im Gefängnis Sagmacilar zu besuchen. Gerüchte über schwere Mißhandlungen der Gefangenen und eine darauffolgende Gefängnisrevolte gehen um. Man habe einen Fluchttunnel gefunden, und wegen Sicherheitsvorkehrungen seien Besuche nicht möglich, erklärt Staatsanwalt Muzaffer Inanli.
Licht in das Dunkel von Sagmacilar brachte der 25jährige Irfan Yildiz, der vorgestern aus der Haft entlassen wurde und auf einer Pressekonferenz des „Vereins für Menschenrechte“ die Ereignisse schilderte. „Am 28.Dezember wurden die Tore des B-Blocks, in dem ich einsaß, geöffnet, und 100 Soldaten drangen ohne Vorwarnung ein. Sie schlugen mit Knüppeln und Holzlatten auf uns ein. In den B- und F -Block wurden Gasbomben geworfen. Viele Freunde sind durch die Gasbomben schwer verletzt worden.“
Yildiz, dessen Haftentlassungstermin um mehrere Tage verzögert wurde, um die Geschehnisse zu verheimlichen, verfügt über ein ärztliches Attest. An seinem Körper sind die Spuren des sogenannten „Sicherheitseinsatzes“ deutlich zu sehen. Nach den Mißhandlungen revoltierten die Gefängnisinsassen: Unter Verwendung des gesamten Mobiliars errichteten sie in mehreren Zellen Barrikade. Mit Hilfe eines Schweißgerätes gelang es ihnen, Durchgänge ganz zu sperren.
Die Aussagen von Yildiz werden bestätigt von einem Soldaten, der in der angesehenen türkischen Tageszeitung 'Cumhuriyet‘ über seinen Dienst im Gefängnis berichtet. „Jeden Tag haben wir Alarmbereitschaft. Unsere Truppe ist auf 2.000 Mann verstärkt worden. Wir kommen in die Zellen nicht rein. Die Gefangenen haben Betten und Spülen zerstört. Zwei Soldaten sind verletzt, sechs Gefangenen geht es sehr schlecht. Wir haben alles versucht, Bajonett und Knüppel. Auf Befehl unseres Offiziers versuchen wir, die Revolte zu verhindern. Wir haben viel geprügelt, aber wir haben den Aufstand nicht brechen können.“
Unterdessen hat der türkische Ministerpräsident Özal auf einer Pressekonferenz in Ankara die Vorwürfe der Gefangenenhilfsorganisation amnesty international, in der Türkei werde systematisch gefoltert, zurückgewiesen. „Natürlich sind unter dem Kriegsrecht bestimmte Dinge passiert. Dafür sind wir nicht verantwortlich. Stimmt der Bericht von amnesty, sind 250.000 Menschen verhört worden. Wenn man nicht genügend ausgebildete Männer hat, können die Verhöre nicht korrekt durchgeführt werden, und letztendlich kann vom Wort 'Folter‘ die Rede sein“. Die Worte Özals auf der Pressekonferenz und die dem türkischen Regime wohlgesonnene Erklärung der Staatsministerin Adam Schwaetzer, man habe in Bonn keine Hinweise auf Folter mit Billigung der türkischen Regierung, waren Mittelpunkt der Nachrichten im staatlichen türkischen Fernsehen. Nachrichten über die politischen Gefangenen im Gefängnis Sagmacilar wurden totgeschwiegen.
Amnesty international hat inzwischen gegen die Erklärung Adam-Schwaetzers scharf protestiert. Die Organisation bezeichnet es als verwunderlich, daß sich die Bundesregierung in ähnlicher Weise zu den Menschenrechtsverletzungen in der Türkei äußere wie die türkische Regierung selbst, und das, obwohl dem auswärtigen Amt zahlreiche Belege für die von amnesty international erhobenen Vorwürfe zur Verfügung gestellt worden seien.
Die der Menscherechtsorganisation zur Verfügung stehenden umfangreichen Informationen über Folterungen in der Türkei ließen keinen anderen Schluß zu als den, daß die Folter nach wie vor routinemäßig und systematisch gegenüber inhaftierten angewandt.
Auf die von ammesty international vorgelegte Liste von über 200 Personen, die zwischen 1981 und 1988 unter verdachterregenden Umständen in der Haft zu Tode gekommen sind, habe die türkische Regierung lediglich in unzureichender und zum Teil widersprüchlicher Weise geantwortet. Untersuchungen von Foltervorwürfen waren häufig reine Formalitäten, sie wurden verzögert und zum Teil niedergeschlagen, so die Generalsekretärin von ai, Esser. Das, was nach Festnehmen in türkischen Polizeistationen und Haftanstalten mit Gefangenen geschieht, liegt nach ai international eindeutig in der Verantwortung der türkischen Regierung. Diese Verantwortung zu schmälern, könnte als Verharmlosung der Menschenreichtsverletzungen in der Türkei ausgelegt werden.
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