Keine Entwarnung für Giftgastransporte

■ Untersuchungen der US-Army bestätigen erstmals die Gefahren beim Transport von C-Waffen Übertragbare Ergebnisse widersprechen der Bundesregierung, die die Munitionstransporte für „gefahrlos“ hält

Bonn (taz) - Untersuchungen der US-Army belegen, wie gefährlich der Abtransport ihrer alten C-Waffenbestände ist. In der Bundesrepublik, aus der die bisherigen US-Kampfstoffe angeblich bis 1992 abgezogen werden sollen, sind der Öffentlichkeit bislang alle Informationen vorenthalten worden. Die US-Army brachte nach mehrjähriger Untersuchung im vergangenen Jahr ein dreibändiges Gutachten über die Gefahren bei Abtransport bzw. Vernichtung der alten C -Waffenbestände heraus, deren Ergebnisse die Naturwissensschaftlerinitiative „Verantwortung für den Frieden“ gestern in Bonn erstellte. Aus den geheimgehaltenen Lagerstätten in der Bundesrepublik soll die Giftgas-Munition der USA angeblich bis 1992 abgezogen werden - so jedenfalls will es Reagan 1986 Kanzler Kohl versichert haben, obwohl ein schriftlicher Beweis dafür nicht vorgelegt wurde. Über den geplanten Abzug der US-Vorräte ist bisher so gut wie nichts bekannt - ebenso wie alle bisherigen Bundesregierungen Auskünfte zu Art und Menge der Kampfstoffe verweigert haben. In den USA hielt die Army an den acht dortigen Standorten öffentliche Hearings ab, zahlreiche Detailstudien wurden angefertigt; geheim blieb allerdings auch dort die Gesamtmenge der C-Waffen, die auf 30.000 Tonnen geschätzt wird. Nach Abwägung aller Risiken kommen die Amerikaner zu dem Schluß, daß ein Abtransport der Kampfstoffe zu zentralen Vernichtungsanlagen zu gefährlich wäre und statt dessen in jedem der Lager, ungeachtet der hohen Kosten, spezielle Verbrennungsanlagen errichtet werden müssen. Für einen der Standorte in Kentucky, der von der Menge der Kampfstoffe und der dichten Besiedlung mit der Bundesrepublik vergleichbar ist, kommt das Gutachten zu dem Schluß, daß über 1.000 Flüge zum Abtransport nötig wären. Beim größten anzunehmenden Unfall sei für den Lufttransport mit 23.000 Toten zu rechnen, im Falle des Bahntransports mit über 6.000 Toten.

Der Todesradius beträgt nach diesen Berechnungen 35 Kilometer beim Bahn- und 50 Kilometer beim Lufttransport. Für Umweltschäden als Folge eines Transportunfalls wird ein Korridor von 200 Kilometern zugrundegelegt.

Die Daten aus den USA lassen sich nach Ansicht der Naturwissenschaftlerinitiative, die das Gutachten auswertete, zwar nicht umstandslos auf die Bundesrepublik übertragen, weil dafür die nötigen Angaben fehlen. Jedoch sei die Behauptung der Bundesregierung, die Munition könne „gefahrlos“ transportiert werden, jedenfalls falsch - zumal für die Bundesrepublik gerade jener Abtransport per Flugzeug vorgesehen sei, der in den USA als die gefährlichste Variante angesehen wird.

Die US-Army will für die Bundesrepublik ein gesondertes Gutachten auf Grundlage der US-Umweltgesetzgebung anfertigen. In einem Memorandum fordern die Naturwissenschaftler, die Risikobeurteilung auch hierzulande offenzulegen, nach US-Vorbild öffentliche Anhörungen zu veranstalten und die Entscheidungsbefugnisse parlamentarischen Gremien zu übertragen.

Ch. Wiedemann