Für Senfgas reicht es allemal

■ Report der chemischen Industrie: Trotz aller Verbote wäre C-Waffen-Produktion einfach

Die Kontrolle chemischer Waffen soll nach den bisherigen Plänen bei den Genfer Verhandlungen über drei Stufen und drei Stofflisten erfolgen. Die erste Liste enthält eine Aufzählung der verschiedenen Kampfstoffe und Nervengifte, deren Herstellung auf dem Index steht: Sarin, Soman, Tabun, VX, Loste - auch als Senfgas bekannt - usw. Dies die einfachste Regelung.

Eine zweite Liste enthält sogenannte Schlüsselprodukte. Hier sind Stoffe und Stoffgruppen erfaßt, die als Ausgangsstoffe für chemische Waffen benutzt werden können. Hier beginnen bereits die dicken Probleme: Bei Aufnahme aller in der Diskussion befindlichen Stoffe in Liste 2 wären in der BRD „24 Produkte zu kontrollieren, von denen allein die fünf mengenmäßig größten an mehrere hundert Kunden geliefert werden, die dann auch der Kontrolle unterliegen würden“, wie ein Report des Verbandes der chemischen Industrie (VCI) feststellt. Stoffe der Liste 2 sollen ab einer bestimmten Produktionsmenge (in der Diskussion ist eine Jahrestonne) deklarationspflichtig sein.

Liste 3 enthält Chemikalien, die in großem Umfang für zivile Produktionsprozesse genutzt werden, aber auch für die Produktion von Kampfstoffen geeignet wären (z.B. Phosgen, Chlorcyan, Phosphorchloride ). Hier ist eine Deklarationspflicht ab 30 Jahrestonnen Produktion vorgesehen. Eine große Zahl von Chemieunternehmen wäre hier gegebenenfalls durch Vor-Ort-Inspektionen zu kontrollieren.

In der Diskussion ist noch die Aufstellung einer vierten Liste, in der alle supertoxischen Stoffe erfaßt werden sollen. Dies hätte den Vorteil, daß dadurch auch alle neu entwickelten und noch geheimen Verbindungen sofort auf dem Index wären. Zugleich wäre die Erfassung aller Supergifte auch für den Zivilschutz wichtig.

Doch selbst wenn es gelänge, die Zirkulation der auf allen drei oder vier Listen erfaßten Stoffe zu kontrollieren, wäre die Produktion von chemischen Waffen noch lange nicht unmöglich. Auch mit allereinfachsten Grundstoffen, die sich jedes Land leicht besorgen kann, sind Chemiewaffen herstellbar. Der VCI-Report schreibt dazu, die Rohstofversorgung dafür stelle „kein Problem“ dar. Die Weltproduktion von Phos phat mineral - Hauptanteil des Kampfstoffes Tabun - liege z.B. bei 144 Millionen Tonnen. Es falle meist in Form von Apatit an, der auch noch das für die Kampfstoffe Sarin und Soman benötigte Fluor enthält. Und weiter: „Schwefel für Lost oder VX fällt als Nebenprodukt in Erdölraffinerien in großen Mengen an und ist auch im Erdgas enthalten. Das Chlor für Lost und Zwischenprodukte läßt sich aus dem Meersalz gewinnen. Energie für die Elektrolyse dürfte wohlfeil sein. Die noch fehlenden Elemente Kohlenstoff und Wasserstoff liefern die vorhandenen Raffinerien und petrochemischen Anlagen, und Stickstoff und Sauerstoff gibt es in aller Welt unbegrenzt und kostenlos. Sicher hört sich das jetzt leichter an als es in Wirklichkeit ist, aber für einen einfachen Weltkrieg-I -Kampfstoff reicht es allemal.“

Anschaulich wird dies auch bei einem Blick auf die Zusammensetzung von Lost oder Senfgas: 44,6 Prozent Chlor, 20,2 Prozent Schwefel und der Rest aus Kohlenstoff und Wasserstoff. Eine Tonne Kochsalz enthält allein 600 Kilo Chlor, das einem Chloranteil von 1,35 Tonnen Senfgas entspricht. Der Irak, der im Golfkrieg Senfgas eingesetzt hat, hätte zur Herstellung notfalls nicht mehr als diese simplen Ausgangsstoffe gebraucht.

taz/VCI Verifikation in Libyen möglich

Der Verdacht, das libysche Chemiewerk bei Tripolis diene der Produktion von Kampfstoffen, läßt sich nach Auffassung der Naturwissenschaftler-Initiative „Verantwortung für den Frieden“ durch eine Inspektion erhärten oder widerlegen. Die US-Regierung hatte das Angebot Gaddafis, die Anlage zu untersuchen, mit der Begründung zurückgewiesen, Vorrichtungen zur Kampfstoffproduktion ließen sich innerhalb kürzester Zeit spurenlos entfernen.

Der Hannoveraner Chemiker Dr.Meissner sagte dazu gestern in Bonn: „Diese Behauptung der USA widerspricht der Meinung aller Experten weltweit.“ Die Verifikationsmöglichkeiten seien relativ gut, die Kontrolle von Anlagen sei der am weitesten entwickelte Bereich der Genfer C-Waffen -Verhandlungen. Für im Betrieb befindliche Anlagen gingen die Experten sogar davon aus, daß noch nach 48 Stunden Merkmale der Kampfstoffproduktion finden zu können. Wenn die Anlage nicht in Betrieb sei, könne zumindest festgestellt werden, ob das Werk zur C-Waffen-Produktion technisch in der Lage sei.

Außenminister Genscher hatte bereits am Vortag Unterstützung für das Angebot Gaddafis geäußert, eine internationale Kommission solle vor Ort untersuchen, worum es sich bei der Fabrik handele und ob es dort Hinweise auf die Beteiligung eines deutschen Unternehmens gebe. Die Bundesregierung, so Genscher, bemühe sich in Libyen um die Möglichkeit einer derartigen Inspektion.

cw