DER HIRSCH SCHAUT IN DIE RÖHRE

■ Sieben Skulpturen im Schöneberger Rudolph-Wilde-Park

Das erste Mal begegnen wir ihnen in einer Regennacht: Wie Gespenster erheben sich die Skulpturen plötzlich auf unserem Weg, erst in der Nähe von den Silhouetten der kahlen Bäume zu unterscheiden. Die dunkle massige Skulptur von Eckhardt Haisch sieht auf einmal aus, als ob sie Flügel hätte, und die schweren Rohre scheinen zu schweben. Wir können nicht widerstehen, mit den Regenschirmen an die Rohre zu klopfen und den Klang auszuprobieren. In der feuchten Luft tauchen Nino Malfattis Türme in der Park-Senke auf und erinnern an die Ruinen einer versunkenen Stadt; bei Tag verlieren sie diesen melancholischen Schimmer und setzen in ihrer Farbigkeit beschwingt Zeichen in das trübe Wetter. Wie Krokantstäbchen oder filigrane Papierspitzen wirken sie dann.

Die Skulpturen von Malfatti, Haisch, Katja Hajek, Susanne Mahlmeister, Karl Menzen, Paul Pfarr und Rolf Liebknecht, die alle Rohre als Konstruktionselemente verwendet haben, werden bis zum März im Rudolph-Wilde-Park überwintern. Kunst im öffentlichen Raum hat seit dem Skulpturenboulevard wieder den Status eines Experimentes angenommen, wenn sie nicht mit Streicheltieren und Berliner Schnapsnasen-Figuren um den Betrachter wirbt. Um sich nun nicht gleich mit den Bürgern, die sich von der Abstraktion der Skulpturen intellektuell gefoppt fühlen und denen das rauhe Material der Rohre gegen die Schon-Deckchen-Ästhetik geht, vollends zu überwerfen, haben sich die NGBK und das Kunstamt Schöneberg für die Drei -Monats-Kunst entschieden, der unter dem vergoldeten Platzhirschen nur Gastrecht gewährt wird.

Tatsächlich moserten bei der Eröffnung mit Tee und Trommelschlägen einige Familienväter, unterstützt vom Chor der Ehefrauen und Kinder: die Künstler hätten ja wohl ein gestörtes Verhältnis zur Natur. Sie fanden ihren Park verschandelt und wurden zornig. Zwei Damen mit Pudel hingegen stellten sich vor, daß erst in einer verschneiten Parklandschaft die Skulpturen voll zur Wirkung kämen.

Auf den Park, diesen Auslauf für Hunde, Kleinkinder und Spaziergänger, haben schon verschiedene Gruppen ein Auge geworfen: die einen würden hier gerne ein Feuchtbiotop anlegen, rekonstruierter Urzustand von Natur unter dem Preis des Ausschlusses des Menschen. Andere sehen hier im Geiste Schrebergartengelände: Betreten verboten für alle Nicht -Besitzer.

Doch die Konkurrenz zwischen Natur und Kunst ist nur eine scheinbare; ein Feuchtbiotop in der Stadt wäre nicht weniger künstlich und Ausdruck unserer zugleich naturzerstörenden wie -verklärenden Kultur als es die Skulpturen im Park sind. Sie verpesten weder die Luft (rohrherstellung? sezza), noch scheißen sie die Wege voll (wie die kleinkinder, die wandelnden. sezza), sie bremsen die Jogger nicht (du kennst die jogger nicht! sezza), verhindern keine Froschwanderungen (welche frösche? sezza) und verstellen niemanden die Sicht (doch, den grasgrünen steinbeißern. sezza) - und doch entzündet sich an ihnen eine Wut, die eigentlich Autobahntrassen und Betonhochburgen gelten müßte (da muß ich drüber nachdenken. sezza).

Katrin Bettina Müller