PÄDAGOGIK TÖTET KOMIK

■ Alfred Edel im Georg-Kolbe-Museum anläßlich Schauplatz Museum

Der Votograf Owsnitzki hat in der ihm eigenen geschmacklichen Volltreffsicherheit den horngeknöpft -filzumränderten Bayernjanker übergeworfen, prompt hockt ein Kerl in silberbetreßter Trachtenweste an der Ecke und läßt die Zither zittern, ta-da-da-dii, ta-da-da-daa, Wenn die Heimatglocken läuten - Ein folkloristisches Bekenntnis von Alfred Edel titelt der Abend glutig-mutig, und wenn auch der Saal im Georg-Kolbe-Museum etwas ranzig-seminarisch hergerichtet ist (ein Eindruck, der allerdings durch allerlei schön deplaziert herumstehende Plastiken gemildert wird), so erwartet man doch, frohgemut im Stuhle hockend, den verdienten Künstler des Volkes Edel.

An seiner Statt betritt jedoch zunächst ein eher farbloser Vertreter die Darbietungsecke; bei diesem Menschen handelt es sich um den Leiter des Museumspädagogischen Dienstes, einen staubgrauen Repräsentanten deutschen Studienrats- und Beamtenwesens, dürres Haar Brille Bärtchen, abgezirkelt -maniriertes Sonor- und Jovialstimmchen a la Hüsch und ein kräftiges - 'Hurra! Ich bin bedeutungsschwanger!‘ im Blick; dieser Dagobert Dienstleiter, dem nur ein Bedeutungsschwangerschaftsabbruch noch hülfe, spricht von sehr dünnem Eis, auf dem man sich bewege, das Leben (repräsentiert durch Herrn Alfred Edel) pralle hier auf Moral und Sitte, allerdings und gottlob befinde er sich außerhalb des Dienstes ; wie auch immer, er, Dagobert Dienstleiter, wolle den Edelschen quasi-biographischen Erzählfluß quasi-wissenschaftlich konterkarieren, und zwar mit Hilfe eines Lichtbildvortrags. Herr Edel wird nun von ihm nach vorn gebeten und allerlei ausgefragt, Wie kamst du zum Film? , betulich-anekdotisch dröppelt es vor sich hin.

An Alfred Edel liegt das nicht; wuchtig und gedrungen marschiert er auf und ab, wüstes Leben in Gesicht und Gestalt hineingeprägt, gestikuliert pracht- und kraftvoll und erzählt in massiv gutturalem Süddeutsch die Geschichte von Peter und Paul: ein Leben voller Suche nach Sinn und Wirtshäusern, in dem in erster Linie kräftig getrunken und kräftig gegessen wird, was man Herrn Edel sichtlich glauben darf; die Laufbahn als Ministrant und frommer Ekstatiker, die allerdings durch allzu heftige religiöse Leidenschaft jäh gestoppt wird, fehlt ebenso wenig wie die Beschäftigung mit Plato und der Seelenwanderung, die zu hitzigen Phantasien und Visionen führt, die wiederum ziemlich stracks in eine Gerda einmünden: Hinten samma gleich und vorn passen wa zamm, dergestalt unverklärt müht sich der juvenile Niederbayer ums andere Geschlecht.

Zwischendrin leistet Dagobert Dienstleiter unerschrocken wie trocken Brot seine Aufklärungsarbeit, zeigt Altarbilder und sonstwie Christlich-Zeitgenössisches aus diversen Jahrhunderten, und daß die Geschichte des Christentums die Geschichte ist von Mord und Totschlag, von Körper- und Seelenqual, und die Macht der Kirche fußt auf Einschüchterung, Unterwerfung, Drohung und Angstmacherei, nein, wer hätte es gedacht? Unverdrossen quakelt der Didakt, erklärt jedes seiner schalen akademisch-anämischen Witzchen gleich mehrfach, auf daß sein Geist uns auch ja kräftig streife, ja umhülle; nebenbei sagt er ständig Mein Lieber oder Lieber Alfred oder Mein lieber Alfred , man staunt, daß auch Philister Schleimspuren ziehen können, verschämt gehts weiter mit homoerotischen Situationen und dergleichen knallköpfig-klemmigem Kokolores; nicht daß es falsch wäre, zu erwähnen, daß es im Wirtschaftsteil der FAZ Nachrichten zu lesen gebe, die eigentlich zur Revolution führen müßten, aber die angeberisch -besserwisserisch-aufgepumpte Oberlehrertour, derartige Selbstverständlichkeiten mit Verkündigungstimbre darzubieten, als habe man soeben den geistigen Zenit überschritten, ist doch zutiefst lästig.

Nicht mit tausend schnittigen Sätzchen bringt Dagobert Dienstleiter die Überzeugungskraft zustande, die Alfred Edel, dem durch die Unterbrechungen immer wieder der erzählerische Schwung genommen wird, einfach so hat. Der steht im Raum und ist da, klein und rund und energisch, ein Blickfang, und weiter geht's durchs heftige Leben, als eins der Stimmviecher der Regensburger Domspatzen, denen hat der liebe Gott in die Kehle geschissen, dann die Überaktivitäten in der Schwabinger Boheme und daraus resultierend der Mythos der Transpersonalität - die Gabe, in mehreren Kneipen gleichzeitig vorhanden und präsent zu sein - , die Auftritte in diversen Salons, die trotz der Ermahnungenen ätherischer Damen anschwellende Leibesfülle und bei allem Tatendurst das Ruhen in sich selbst: ein wildes Es, ein starkes Ich und ein angenehmes Über-Ich.

Alfred Edel kann wunderschön erzählen, man merkt es in den wenigen Momenten, wo er in Fahrt kommt und mit knappen Gesten darstellt, was er spricht; gern streift er, immer ein Mann des Volkes, das Absurde, sondert echte Lebensweisheit ab, Sage was du denkst, auch wenn es nicht die Wahrheit ist, oder Arbeit macht fröhlich, wenn sie sinnlos ist, Arnold Hau winkt ums Eck, das alles geht ganz leicht und unbemüht, und wäre da nicht Dagobert Dienstleiter mit seiner Autoritätsmacke gewesen, es wäre ein prima Abend geworden, ganz sicher. Wie sagt's die kleine Knutschkugel: Die Liebe und das Leben bewähren sich nicht im Stillstand, sondern in der Bewegung. Edel gedacht!

wiglaf droste