Das zähe Ringen um die späte Ehrung NS-Verfolgter

■ Nach der Wahl steht erneut ein Gesetz zur Versorgung von Verfolgten des Nazi-Regimes an / Clinch um Härtefonds und Gesetz seit 1985 Linke Organisationen sind im Stiftungsrat nicht vertreten / Bisher nur große Gesten mit geringer Wirkung

Wenn die VolksvertreterInnen sich nach Parlamentspause und Wahlen erneut und in anderer Zusammensetzung wiedertreffen, werden sie sich unter anderem mit einem Beschluß befassen, den drei Fraktionen in seltener Einmütigkeit gefällt haben. An der Novellierung des „Gesetzes über die Anerkennung und Versorgung der politisch, rassisch oder religiös Verfolgten des Nazionalsozialismus“ (PrVG) nämlich soll weitergearbeitet werden. Darauf einigten sich CDU, SPD und AL in einer der letzten Innenausschußsitzungen. Hinter dem langen Titel verbirgt sich ein langer Marsch durch die verschlungenen Gedankengänge der Parlamentarier und der Gremien des Parlaments.

Begonnen hatte alles mit der Initiative der damaligen und zukünftigen AL-Abgeordneten Hilde Schramm. Als um den 8.Mai 1985 herum, vierzig Jahre nach Kriegsende, alle Parteien darüber nachdachten, wie man den Gedenktag begehen könnte, schlug die AL-Politikerin vor, endlich den Opfern des Nationalsozialismus finanzielle Hilfen zukommen zu lassen, die bisher keine bekommen haben. Das sind zum Beispiel Zwangssterilisierte, Homosexuelle und Sinti und Roma, Kommunisten und Straftäter.

Noch bevor die AL einen Änderungsantrag zum Gesetz (von der SPD später in ähnlicher Form eingebracht) formulierte, sann sie auf sofortige Hilfe. Ein Härtefonds für die Opfer müsse sofort her, forderte die Fraktion, damit die Betroffenen ihren Lebensabend ohne finanzielle Sorgen verbringen können. Man wollte vermeiden, daß durch Spekulation mit der Lebenszeit der Überlebenden solch ein Gesetz nicht mehr vielen zugute kommen würde.

Die Koalition zierte sich und versteckte sich hinter Formalien. Im Prinzip sei das ja eine gute Sache, hieß es zunächst, aber eigentlich sei solch eine Wiedergutmachung ja gar nicht Sache der Länder, argumentierten sie. Für eine Entschädigungsregelung sei schließlich Bonn zuständig. Es gehe nicht um Entschädigung, sondern um die Würde der Opfer, erwiderte die Opposition. Was sie intendiere, sei ein Anerkennungs- und Ehrungsgesetz.

Monate verstrichen mit Anhörungen, Debatten, Ausschußsitzungen. Die Sonntagsreden zum 40.Jahrestag der Befreiung waren längst Historie, als im April 1987 plötzlich entschieden wurde, die Sinti und Roma, die einst ins Zwangslager Berlin-Marzahn deportiert wurden, als Verfolgte im Sinne des bestehenden Gesetzes anzuerkennen. Eine große Geste mit kleinen Folgen, urteilt der AL -Fraktionsvorsitzende Wolfgang Wieland. Voraussetzung für die Entschädigung der ohnehin wenigen Überlebenden ist nämlich der Wohnsitz in Berlin.

Der Antrag auf die sofortige Einrichtung eines Härtefonds für die Opfer der NS-Willkürherrschaft war eine ähnliche Geste mit geringen Auswirkungen. Zwar beschloß das Abgeordnetenhaus im Juni 1986 die Einrichtung einer Stiftung für diejenigen, die durch die Maschen des Gesetzes fallen, verabschiedete aber gleichzeitig eine Reihe von Einschränkungen. Nicht finanziell bedacht werden sollten etwa Mitglieder der NSDAP. Eine solch generelle Klausel lehnt die Opposition ab, da sie nicht auf den Einzelfall abstelle. Ferner darf der in Frage kommende Personenkreis die freiheitlich-demokratische Grundordnung nicht aktiv bekämpfen und nicht zu Strafen von mehr als drei Jahren verurteilt worden sein. Was dann schließlich - inzwischen schreiben wir das Jahr 1987 - nach der einmütigen Willenserklärung der Abgeordneten eingerichtet wurde, war nicht, wie von der AL gewünscht, eine Stiftung bestehend aus Abgeordneten und den Vertretern der unterschiedlichsten Verfolgtenorganisationen, sondern eine private Stiftung. In Stiftungsrat und Vorstand sind lediglich die Jüdische Gemeinde, die Evangelische Hilfsstelle für ehemals Rasseverfolgte der Bund der Verfolgten des Naziregimes, ein Senatsrat und Noch-Innensenator Kewenig. Das sei zwar immerhin etwas, meint Wolfgang Wieland, und „der Spatz in der Hand ist immer noch besser als die Taube auf dem Dach“. Doch der „kleine Schritt, den wir begrüßen“, hat erhebliche Mängel. Die linken Organisationen sind in der Stiftung beispielsweise gar nicht vertreten. Für die Zuwendung aus der Stiftung, finanziert mit öffentlichen Geldern, gibt es mangels Gesetz bisher keinen gesetzlichen Anspruch. Wenn die neuen Abgeordneten ihre Absichtserklärungen und guten Vorsätze ernst nehmen, müssen sie sich jedenfalls beeilen. Viel Zeit, um die so lange Zeit Diskriminierten endlich als Verfolgte anzuerkennen, bleibt ihnen nicht mehr. Nach einer weiteren Legislaturperiode wird das Gesetz einfach dadurch obsolet werden, daß niemand mehr da ist, um das eigentlich Selbstverständliche einzuklagen.

Rita Hermanns