Der Blick nach Moskau

■ Diepgen und Momper äußerten sich auf ihren Jahrespressekonferenzen hauptsächlich zur Ostpolitik / Trifft der Regierende Gorbatschow im Mai in Bonn?

Mehr „Realismus bei der Auslegung des Viermächte-Abkommens und der Anerkennung der Anbindung Berlins an den Bund forderte gestern der Regierende Bürgermeister Diepgen. Auch Oppositionsführer Momper will, daß die DDR West-Berlin als Bundesland respektiert. Als gestern nachmittag, zwei Stunden nach Diepgen, Walter Momper seine Jahrespressekonferenz abhielt, gab es in inhaltlichen Aussagen fürs Jahr 1989 soviel Übereinstimmung, daß die herbe Kritik der Opposition an der „Erblast“ von acht Jahren CDU/FDP als pures Ritual erschien. Berlin- und Deutschlandpolitik, Wohnungsbau und Umweltschutz sind Themen, bei denen kaum gestritten wird.

Schwerpunkt war, für Opposition und Regierung, die Ostpolitik. Der Regierende diagnostizierte 1988 als das erfolgreichste Jahr in der Berlin- und Deutschlandpolitik. Die Stadt habe erstmals eine „wirkliche und historische Chanche, als Brücke zwischen Ost und West“ zu wirken, sagte er. Von der KSZE-Folgekonferenz erwartet er Zugeständnisse des Ostens in Fragen der Menschenrechte. Das Treffen von Gorbatschow und Kohl im Mai in Bonn müsse Fortschritte für Berlin bringen. Auf die Frage, ob er selbst gerne Gorbatschow treffen würde, meinte Diepgen, es wäre ein „Stück Normalität“.

Diepgen konstatierte eine „konstruktive Einstellung“ der DDR zu Berlin. Für 1989 erwartet er die Entscheidung über das Südgelände, den Abschluß der Verhandlungen über die Schnellbahnstrecke nach Hannover und Gespräche über den innerdeutschen Luftverkehr. West-Berlin, wünscht er sich, soll auch aus Richtung Osten angeflogen werden können. Der Zwangsumtausch müsse gesenkt werden, dies als explizite Forderung erhoben.

Eine „grundlegend neue Verständigung mit der DDR“ sei auch unterhalb der Ebene des Status möglich, sagte Oppositionsführer Momper. Dazu gehöre auch die „Respektierung Berlin (Ost) als Haupstadt der DDR“. Dies müsse durch praktische Politik deutlich gemacht werden, beispielsweise durch die Tatsache, daß Bundeskanzler Kohl Ost-Berlin besucht. Eine KSZE-Folgekonferenz zur wirtschaftlichen Kooperation als Signal, daß der gemeinsame europäische Markt nicht nach Osten abgeschottet wird, wünscht sich Momper nach Berlin.

Geradezu bescheiden nimmt sich die Opposition in der Frage des Umweltschutzes aus. Während Diepgen ein Gesamt-Berliner Abfallbeseitigungsgesetz fordert, gibt sich Momper mit einer Expertenkommission zwischen West-Berlin und den umliegenden DDR Kreisen zufrieden.

Einig sind sich Opposition und Regierung auch in der Anzahl der Wohnungen (30.000), die in den nächsten Jahren gebaut werden müssen. Gänzlich verschieden allerdings sehen Diepgen und Momper die Situation der Hochschulen. Für Streik hat der Regierende keinerlei Verständnis. Er sehe wohl, daß es Probleme gebe mit der derzeitigen Massenuniversität, die demokratisch nicht mehr zu verwalten sei. Deshalb will er „kleinere Einheiten“ schaffen. Die Strukturfrage stehe nicht an. Momper hingegen fordert die Novellierung des Berliner Hochschulgesetzes und die Wiedereinführung der Viertelparität.

Weder Momper noch Diepgen äußerten sich zur Sozialpolitik. Wirtschaft und Arbeit blieben Randthemen, und Frauenpolitik kommt in Bilanz und Ausblick erst gar nicht vor.

bf