Triviales mit frauenliebendem Ende

■ Enttäuschung über den alten, neu herausgekommenen Roman von Hedwig Dohm „Schicksale einer Seele“

Sie war berüchtigt für ihre spitze Feder und hatte politisch die Nase vorn: die 1831 geborene Hedwig Dohm. „Organisiert Euch“, forderte sie die Frauen schon 1876 auf, „und kämpft für Eure politischen Rechte!“ Ihre Attacken gegen Antifeministen männlichen und weiblichen Geschlechts sind heute noch amüsant zu lesen. Wie sie sich die „rechtschaffenen Männer“ zur Brust nahm und über „die Eigenschaften des Weibes“ aufklärte, das ist beste Satire. Ein Quäntchen ihrer beißenden Ironie täte mancher Feministin heute gut. Gegen das Verbitterte und Verbiesterte vieler ZeitgenossInnen jedenfalls wirkt Hedwig Dohm geradezu erfrischend frech, unkonventionell und undogmatisch. Dabei sollte sie „schüchtern, empfindsam, ängstlich, bei Lichte besehen sogar schrecklich feig“ gewesen sein, wie ihre Tochter 1930 schrieb. Ob das Urteil stimmt, mögen ihre BiographInnen herausfinden. Hedwig Dohm hat sich einmal selbst als „unwiederbringlich energielos, passiv und tatenfaul“ bezeichnet. Möglich, daß diese Äußerung darauf gemünzt war, daß sie sich nie der Frauenbewegung anschloß. In ihren Texten präsentierte sich Hediwg Dohm zwar als mutige Querdenkerin, die Konflikte nicht scheute, praktisch war sie jedoch eine Schreibtischfrau. Sie stand der Vereinsmeierei der Deutschen höchst skeptisch gegenüber und blieb Zeit ihres Lebens Individualistin.

Daß Hedwig Dohm auch Schriftstellerin war, hat sich bisher kaum herumgesprochen. Vielleicht hat die Angst dabei eine Rolle gespielt, die brillante Polemikerin könnte sich als zweit- oder gar drittklassige Literatin entpuppen. Immerhin sind wir nicht gerade verwöhnt, was die schriftstellerischen Talente unserer frauenbewegten Schwestern von gestern betrifft: Ob Texte von Louise Otto, Gertrud Bäumer oder Helene Stöcker, die Lektüre ihrer belletristischen Ergüsse ist ein sehr zweifelhaftes Vergnügen.

Gleiches gilt für Literarisches von Hedwig Dohm. Wer sich den im Verlag Frauenoffensive erschienenen Roman Schicksale einer Seele vornimmt, sollte das wissen. Die Lektüre des über 300 Seiten starken Buches ist äußerst mühsam, und Anfälle von Langeweile bleiben nicht aus. Bedauerlich, daß davon im Nachwort von Ruth-Ellen Boetcher Joeres nicht die Rede ist. Die paar Seiten informieren weder ausreichend über das Leben der Feministin Dohm noch finden sich darin nennenswerte Überlegungen oder wenigstens Thesen zu ihrer schriftstellerischen Praxis. Über den Roman erfahren wir nichts, was wir nicht selbst schon wissen, wenn wir die 300 Seiten hinter uns gebracht haben. Ein paar interpretative Vorschläge, wie denn der Schinken einzuschätzen sei, wären doch wohl nötig gewesen. Statt dessen Phrasen: Schicksale einer Seele ist weder Entwicklungsroman im herkömmlichen Sinn noch ein „Antientwicklungsroman“. Es „ist ein Roman über Traum und Wirklichkeit“, er kann „als soziale Kritik verstanden werden“.

Der Roman Hedwig Dohms bietet zunächst das, was der Titel verspricht: schwülstiges Deutsch und biedermeierliche Innerlichkeit. Schicksale einer Seele hinterläßt Hilflosigkeit, und wer je einen Essay von Hedwig Dohm gelesen hat, wird sich irritiert fragen: Hedwig, was ist in Dich gefahren, daß Du Deine Fans mit derartigen Trivialitäten belästigst? Warum so umständlich und schnörkelig? Warum stellst Du vom Unglück zerquälte Frauen dar, die in lieblosen Ehen leben und dennoch nicht Reißaus nehmen? Und warum, um Himmels willen, schickst Du Deine Heldin am Ende nach Indien und läßt sie dort ihr Heil bei den Theosophen suchen? (Weil dort der Shit besser ist. d.S.) Oder ist etwa alles ganz anders?

Schicksale einer Seele ist der erste Band einer Romantrilogie mit dem Thema: Bürgerliches Frauenleben im 19.Jahrhundert. Anhand dreier Generationen schildert Hedwig Dohm die Zeit zwischen 1833 und der Jahrhundertwende. Der Plan, die Geschichte der bürgerlichen Frau im 19.Jahrhundert romanhaft darzustellen, war gut, wenn auch riskant. Der erste Band der Trilogie erschien 1896, der dritte 1902, Hedwig Dohm verfügte also nicht über die Distanz, die nötig gewesen wäre, um das Jahrhundert der beginnenden Frauenemanzipation mit den Auswirkungen auf das Leben der normalen Bürgerinnen angemessen beurteilen zu können. Die Folge: Ihre Haltung wirkt unentschieden, und dem Roman Schicksale einer Seele fehlt jegliches Konzept.

Formal handelt es sich um einen Briefroman. Die 33jährige Marlene schreibt 1866 an Arnold, einen Freund, und teilt ihm ihre Lebensgeschichte mit. Seine Antwort fehlt. Ihr Verhältnis zueinander können wir lediglich aus Marlenes Erinnerungen schließen. Es gibt einige wenige Begegnungen und die Aufgabe, die Arnold ihr gestellt hat: Sie soll sich schreibend über ihr Leben klar werden, gedacht als Therapie gegen Melancholie und Unzufriedenheit. Marlene schreibt aus der Perspektive der 30jährigen, unglücklich verheirateten Ehefrau und Mutter, die gerade ein Kind verloren hat. Marlene war immer passiv und hat ihre Rolle so erfüllt, wie sie sich vorgestellt hat, daß man es von ihr erwartete.

Literarisch gesehen ist der Roman mißlungen, das gilt insbesondere für den handlungsarmen zweiten Teil, in dem Marlene ihre „Lebensphilosophie“ offenbart. Nicht, daß dort nicht auch kluge Einsichten über Ehe und Liebe formuliert wären, aber für einen Roman ist das zu wenig. Hinzu kommt die stellenweise unerträglich pathetische Sprache. Interessant ist der Roman unter dem Gesichtspunkt der Frauenfreundschaft: Es scheint nämlich, als liege darin für Hedwig Dohm die Perspektive. Das ist umso erstaunlicher, als sich Marlene im ersten Teil deutlich von der Frauenliebe abgrenzt, zu deutlich, wie ich meine: „Eigentlich liebte ich Charlotte nicht. Vielleicht nur deshalb nicht, weil ich für Frauen - ich sagte es Dir schon - keine Zärtlichkeit empfinde.“ Dagegen heißt es am Schluß des Romans: „Wenn Helene ihre schönen biegsamen Finger, die wie weiße Lilien sind, auf meine Stirn legt, so weichen die flüsternden Gespenster.“ Und, ein paar Zeilen weiter: „Ich küsse Deine Lilienhände.“

Sollte Hedwig Dohm hier mehr verraten haben als ihr lieb war? Ist der Roman nicht letzten Endes eine lange und daran läßt sich leider nicht rütteln - schlecht geschriebene Liebeserklärung an die Frauen? Die Reise nach Indien und Marlenes Entdeckung der Theosophie am Ende wären dann gar nicht so überraschend und zusammenhanglos, Indien wäre vielmehr als eine Metapher für das Neuland zu verstehen, das Frauen mit ihrem Bekenntnis für Frauen betreten.

Aber Hedwig Dohm wäre nicht Hedwig Dohm, hieße es nicht am Ende mit einem Anflug von Spott: „Wird Indien ein Tempel für mich werden mit der Inschrift der italienischen Klöster: 'Pace ed amore‘? Oder - ein Irrenhaus? ... Ich weiß es nicht. Wissen es denn die anderen?“

Hedwig Dohm, Schicksale einer Seele. Roman. Mit einem Nachwort von Ruth-Ellen Boetcher Joeres. Verlag Frauenoffensive München, 335 Seiten, 34 Mark.

Heide Soltau