Giftgasblockierer wurden verurteilt

Blockade des US-Depots Fischbach war angeblich „verwerflich“  ■  Aus Pirmasens Klaus Stark

Pünktlich zur Pariser Konferenz über die Ächtung der C -Waffen standen gestern die ersten sechs der etwa 450 Friedensaktivisten vor Gericht, die Ende Juni 1988 knapp eine Woche lang das US-amerikanische Giftgasdepot im pfälzischen Fischbach blockiert hatten. Schon im Vorfeld hatte Amtsrichter Joachim Friemel deutlich werden lassen, daß er kurzen Prozeß machen wollte: Für die erste wegen „Nötigung“ Angeklagte, eine 29jährige arbeitslose Lehrerin aus Wetzlar, waren zweieinhalb Stunden Verhandlungszeit vorgesehen, für die folgenden fünf jeweils nur noch eine Stunde. Am frühen Nachmittag waren denn auch bereits drei Blockierer - entsprechend dem Antrag der Staatsanwaltschaft und den zuvor ergangenen Strafbefehlen - zu einer Geldstrafe von 20 beziehungsweise 30 Tagessätzen verurteilt.

Richter Friemel stellte sich voll hinter das Grundsatzurteil des 1.Strafsenats des Bundesgerichtshofes vom 5.Mai 1988: Es genüge, das „Nahziel“ der Blockade zu berücksichtigen, und dieses - den Straßenverkehr aufzuhalten - sei eben verwerflich. Damit sei der Tatbestand der „verwerflichen Nötigung“ erfüllt.

Die Angeklagten hatten zuvor mehrfach darauf hingewiesen, daß sie nur Militärfahrzeuge anhalten wollten und zivile Pkws durchfahren ließen: „Richtig blockiert wurde der Verkehr erst durch die Polizei.“ Ziel der gewaltfreien Aktion sei es gewesen, auf die schleichende Verseuchung einer ganzen Region aufmerksam zu machen und sich dafür einzusetzen, „daß das alte Giftgas wegkommt und daß kein neues mehr hergestellt wird“. Verwerflich oder „sozial unerträglich“ könne solches Verhalten doch wohl nicht sein.

Auch wenn die Bundesregierung weder dementiert noch bestätigt - es ist ein offenes Geheimnis, daß im US-Depot Fischbach erhebliche Mengen an chemischen Kampfstoffen lagern, Fachleute der Friedensbewegung sprechen von 435 bis 1.000 Tonnen. Vor einigen Jahren wurde im US-Senat bekannt, daß bei gleich alten Beständen in den USA pro Jahr 4.000 Fälle undichter Behälter auftreten. Trotzdem behauptete die Bundesregierung noch im Herbst, daß von der „in der Bundesrepublik derzeit noch gelagerten chemischen Munition der USA keine Gefährdung für die Bevölkerung“ ausgehe.

„Die Lagerung der Chemiewaffen entspricht dem Nato -Bündnisprogramm“, verkündete gestern Richter Friemel. Die „neue Qualität“ der Blockadeaktionen in der Pfalz lag für ihn darin, daß im schriftlichen Aufruf auch dazu aufgefordert worden war, mit den Sitzdemonstrationen gegen das umstrittene BGH-Urteil vom 5.Mai zu protestieren. Daß hier versucht worden sei, massiv auf die Gerichte Einfluß zu nehmen, so Friemel in einer Urteilsbegründung, werde „vom sittlichen Empfinden der Bevölkerung“ sicherlich nicht mehr getragen und sei schon deswegen „verwerflich“. Würden solche Proteste um sich greifen, dann „wäre das einem geordneten Zusammenleben mehr als abträglich“.

Klaus Vack vom Komitee für Grundrechte und Demokratie, Autor des gescholtenen Aufrufs und einer der Hauptorganisatoren der Blockaden, reagierte auf diesen Vorwurf gelassen: Offensichtlich dürfe man deutsche Richter nicht kritisieren, „selbst wenn sie Rechtsbeugung betreiben“.