Schkandal up bremisch

Stimme einer höheren bremischen Theaterabonnentin  ■ UNVERBREMT

Das war schon außerordentlich ungerecht im letzten Jahr, als alle ihren Skandal hatten, nur das Theater ist leer ausgegangen, und wir alle wissen, was das bedeutet in heutiger Zeit: das Medien-Aus, als sichere Vorstufe zur Finanzkrise. Aber es gibt noch ökonomisch verantwortungsbewußte Menschen in der Hansestadt, auch und gerade im Theaterpublikum. Wir, der Teil des Bremer Publikums dem Anspruch und Niveau noch etwas gelten, haben die Sache in die Hand genommen. Haben geunruht und gebuht. Aber selbstverständlich sozusagen hinter vorgehaltener Hand, in altbremischer Dezenz. Wir haben auch nicht, wie der Herr, der nach glaubwürdigen Berichten in vergleichbarer Empörung über John Cages „Europa 1 und 2“ das Frankfurter Schauspielhaus verließ, laut oder gar mehrfach „Scheiße“ gerufen, sondern nur die Polizei. Dieses „Schwarzwaldmädel“ in der Verunzierung von Herrn Bockmayer war einfach nicht jenes kess-fröhliche Stück Operette, das wir seit 1917 zu erwarten berechtigt sind. Diese quäkrockende rumalbernzappelnde Maria Happel ist nicht mehr die zu Herzen gehend sterbende „Piaf“ und erst recht nicht unser vertrautes Schwarzwälder Hannele! Ganz zu schweigen von Traute Hoessens Punkmalwine. So eine begabte junge Frau, und so unter ihrem und unserem Niveau eingesetzt!

Nicht, daß wir das je mal so direkt sagen würden, außer vielleicht in Leserbriefen an die Bild-Zeitung, deren Rezensent auch keinen Riecher für das Skandalöse der Aufführung gehabt hat, aber die sind dann natürlich auch nicht abgedruckt worden. Unsereins hat in diesem Bremen der Sozis ja ohnehin kein Sprachrohr. Außer vielleicht jener Herr, der in Buten & Binnen mal klipp und klar sagen durfte, daß, egal jetzt mal warum, wir sowas nicht sehen wollen und daß der Skandal darin liegt, daß uns niemand auf das Plakat geschrieben hat, daß das nichts für uns ist und schon gar nicht für Silvesterabend.

Ist das denn wirklich zuviel verlangt? Sind wir denn nicht bis zur Selbstverleugnung tolerant gegenüber denjenigen, die so etwas für Theater halten und bei diesem Stück ständig für ausverkaufte Abende sorgen? Haben wir nicht all die Jahre, als dieser furchtbare Herr Hübner das Bremer Theater mit fragwürdigstem Ruf und Elementen versehen hat, gleichsam im Schrank gelebt, wohl wissend, daß auch dieser Spuk einmal vorbeigehen wird? Und als dieser Herr Krämer, der ja auch nicht ewig hierbleiben wird, in diesem Hunsrück-Stück von diesem Herrn Pohl dieses blutverschmierte Kleinkind bei lebendigem Leib hat herumzeigen lassen, und zwar in blasphemisierend gekreuzigter Form, oh, da haben wir das sehr wohl zur Kenntnis genommen und uns unser Teil gedacht, aber wir haben nur drauf hingewiesen, daß dies ein Fall von Kinderarbeit ist und schon deshalb vom gewerkschaftlichen Standpunkt aus unter Niveau. Kurz gesagt wissen wir, daß sich seit Jahren auch hier in Bremen die schrille Niveaulosigkeit breitmacht und daß das nichts für uns ist. Wir haben schon herausbekommen, daß „Die Lustigen Weiber von Windsor“ lustig und niveauvoll sind, „die Zofen“ aber nicht. Das wissen wir, weil ja dieser Autor, ein gewisser Herr Genet, bekannt dafür ist, durchaus nicht nach unserem Geschmack zu sein.

Aber im Falle des „Schwarzwaldmädels“ handelte es sich eben um bewußte Irreführung, weil Autor und Tradition hier tadellos sind, und wer kennt schon diesen Herrn Bockmayer, der es so verdorben hat, obwohl man ja schon beinahe beim Namen Ungutes hätte denken können, wenn man dazu neigen würde, Ungutes zu denken.

Es ist ja kein Zufall, daß die verschiedenen gesellschaftlichen Niveaus im Theater besser miteinander auskommen als in den Stufenschulen. Und das liegt einfach daran, daß das Theater den höheren Niveaus bisher meist zuverlässige Hinweise gegeben hat, wann das obere und wann das untere Niveau hinein darf. Bis eben jetzt. Deshalb verlangen wir außer der besänftigenden Freikarte für den „Freischütz“, daß man uns jeweils klar sagt, wann wir ins Theater können und wann die anderen darin zu erwarten sind. Andernfalls werden wir nicht länger davor zurückschrecken, uns dort einmal ganz unbremisch zum „Theater heute“ zu äußern. Und von dieser Schande würde sich das Bremer Theater sicher lange nicht erholen.

Uta Stolle