TRIUMPH DES DIRIGENTEN

■ Guiseppe Verdis „Simone Boccanegra“ an der Deutschen Oper

Der Streit ist alt. Was trägt zum immer noch faszinierenden Erlebnis Oper stärker bei, die Musik an sich oder ihre szenische Realisation? Nie gelöst und nie ganz zu lösen, werden sich die Regisseure, Dirigenten und Dramaturgen weiter zanken. Jedoch, daß das Gelingen einer Aufführung und das meint hier auch das Herausfallen aus dem üblichen Repertoirealltag - von dem Wirken desjenigen verstärkt abhängt, der mittels eines kleinen, scheinbar unbedeutenden Holzstöckchens den oft zähen und manchmal sturen Apparat (er besteht aus einer Hundertschaft hoch ausgebildeter Künstlerindividuen) nicht nur zusammenhält, sondern in erster Linie künstlerische Einsichten zu vermitteln hat, zeigte sich am Freitag abend in der Wiederaufnahme des Simone Boccanegra einmal mehr. Dieses Mal aus positiver Sicht - das Gegenteil ist weit häufiger der Fall.

Er ist es also, der Dirigent. In unserem Fall der zukünftige Chef der Deutschen Oper, Guiseppe Sinopoli. Er lenkte Chor, Orchester und Solisten bravourös durch die Aufführung.

Guiseppe Verdi zeigte verstärktes Interesse für sein Werk, indem er es sich 30 Jahre nach seiner ersten Aufführung erneut vornahm und gründlich überarbeitete. Erst in der bearbeiteten Fassung wurde es vom Publikum verstärkt angenommen. Heute taucht es hier und da mal auf den Spielplänen auf, an die Verdischen Highlights des Gesamtrepertoires, Rigoletto und Traviata, kommt es in der Publikumsgunst nicht heran.

In der Tat liegen die Schwächen des Stückes - bei vielen musikalischen Stärken - in der wenig prägnanten, auch nach der straffenden Bearbeitung verworrenen Handlung, die uns die Schicksale der Protagonisten kaum nahebringt. Die Stärken, die Verdi gereizt haben mögen, liegen auf musiktheaterrelevantem Gebiet; die akkustische Umsetzung der Tiefe des Raumes ist ein wichtiges theatralisches Merkmal der Partitur. Die beiden, auch räumlich erfahrbaren Ebenen Orchester und Bühne werden um eine dritte: Gesang hinter der Bühne, bereichert. Der akkustische Horizont weitet sich. Ähnlich aufgespalten, in verkleinerter Form, wirkt die Instrumentation. Sinopoli - und hierin liegt seine Stärke betont dies, setzt Klänge rauh gegeneinander, schürft nach jener im Orchester angelegten, eigenständigen Tiefe.

Wie nahe sich akkustische und visuelle Phänomene und ihre Begrifflichkeit sind und wie müßig eigentlich die Frage ist, ob der Szene oder der Musik die Priorität zu geben ist, liegt auf der Hand. Zumal in einer Inszenierung (Giancarlo del Monaco, 1984), in der klugerweise das räumliche Element (durch die in die Tiefe des Raumes führenden Treppen, durch wenige, aber präzise Gänge) betont wird.

Ein musikalisches Chiaroscuro (Helldunkelmalerei) entzünden Verdi (und Sinopoli) im Finale des ersten Aktes. Geradezu zielstrebig, in verhaltener Manier - nur gelegentlich läßt Sinopoli das Orchester zart aufblühen - führt er den Gesamtapparat auf jene Zentralszene zu: ein grandioses Tableau, der Kulminationspunkt, in dem die Handlungsstränge des ersten Aktes zusammenlaufen.

Außer großen Stimmen (Juan Pons, Catherine Malfitano, Kurt Rydl, Antonio Ordonez, William Murray) ein Dirigent, der viel zu sagen hat, dies hoffentlich häufig (dirigierend, versteht sich) tun wird; ein Glücksfall für die Oper und Berlin.

Anno Mungen

Zwei Vorstellungen im Januar: heute und Donnerstag jeweils um 19.30 Uhr