QUIETSCHENDE TANZBEINE

■ Zwei Discotheken-Friedhöfe, eine rauschende Ballnacht und ein Wiederbelebungs-Elektroschock am zweiten Tag

I. Gruselig

Freitag nacht brütete ich über der Definition von „hier-ist -was-los“. Ort der philosophischen Betrachtung war das Pike in der Glogauer Straße. Leute waren da, aber nix los. In einer kleinen Nische kramte ein selbsternannter DJ seine 20-scheibige Plattensammlung durch und erfreute Kindergrufties von durchschnittlich 17 Jahren mit Achtziger -Jahre-Oldies von Cure, Bauhaus, Joy Division und dem absoluten Highlight „Holidays in Cambodia“ von den Dead Kennedys. Und siehe da: Auf der Tanzfläche wankten schwarze Schuhe, schwarze Röcke und schwarze Haare vor und zurück. Punkt zwei war der Spuk vorbei und wir mit den Angestellten zu siebt im Schuppen.

II. Antiquiert

In der Bronx dagegen ist bekanntlich immer was los, und die lag gleich um die Ecke. In einer Entfernung von nur 100 Metern stieg der Altersdurchschnitt rapide um cirka 15 Jahre an, und die Oldie-Charts sackten nochmal zehn Jahre ab. Zu alten Klassikern wie „Sweet Home Alabama“ oder „Cocaine“ schüttelten Langmähnige ihre Vergangenheit ab. Ein brechend volles Antiquariat mit lebenden Objekten, die jeden Abend zur gleichen Zeit an der gleichen Stelle Posten beziehen. „Totentanz“ wäre zwar gelogen, aber der Stimmung mangelte es an nutzlosem Integrations-Engagement.

III. Nostalgisch

Bleiben wir in Kreuzberg 36. Samstag abend, 20.30 Uhr, Naunynstraße. Nachdem Baustellen, Schutt und Müll erobert und durchquert sind, öffnet sich eine Hinterhauspforte. Es ist Ball im Ballhaus Naunynstraße. Aber so richtig! Mit allem Drum und Dran! Tanzkapelle, Holzparkett, reservierte Tische und ausverkauftes Haus. Frauen in glänzenden Abendroben (überwiegend H&M- sowie Young-Collections -Massenmode), und Männer im Anzug wiegen sich im Takt. Bei Samba, ChaCha, Foxtrott, Tango und Walzer schieben sie sich gegenseitig durch den Saal, kreisen unaufhörlich um die eigene Achse, und einigen Männern ist der Takt am Gesicht abzulesen, während sie der Partnerin die Zehen breittreten. Doch das Motto dieses Festakts heißt ja „Pourquoi Pas“. Also werden lädierte PartnerInnen ausgewechselt. Allerdings scheine ich die einzige zu sein, die vor einer möglichen Aufforderung zum Tanz in Deckung geht. Ich hasse es, geführt zu werden. Die richtig elastischen Schleicher fallen natürlich gleich ins Auge, pressen ein Bein zwischen die der Dame, stoßen sie von sich ohne loszulassen, wiegen die Hüften, stampfen auf und tänzeln links und rechts vorbei. Natürlich bedankt man sich galant für den Zweier. Und daß mir keiner denkt, es handelte sich um einen Rentnerball. Hier tobt das Leben zwischen Anfang zwanzig und 47!

IV. Lebensspender Brutkasten

Wir lassen Kreuzberg hinter uns, das Ziel heißt Steglitz, Wrangelschlößchen. Klingt nach Rustikalität, gepflegten Bieren, Stammtisch und Schachbrett hinterm Tresen normalerweise. Hier läuft der 36stünddige Acid- und Deep -House-Marathon nach 26 Stunden immer noch auf vollen Touren, die Stimmung ist phantastisch, und die Luft macht jedem römischen Dampfbad Konkurrenz. Menschen zucken ekstatisch zum Rhythmus der groovigen Musik auf allen erdenklichen Plätzen und Erhebungen. Vortänzer und Anheizer hopsen vor hektischen Lichteffekten, und im Nebel erkennt man nur noch schlenkernde Arme und nickende Köpfe. Zwei Jungs aus Buckow sitzen etwas abseits im schallgedämpften Raum. Bis Samstag früh um acht haben sie es ausgehalten, sind nach Hause schlafen gegangen und jetzt wieder da. Auch die verschwitzten jugendlichen Acid-Fans am Eingang sind beim samstäglichen Mittagsschlaf wieder zu Kräften gekommen und wollen bis zum Ende, daß heißt Sonntag früh um zehn, aushalten. Die Beats peitschen nahtlos durch den Raum, ausgesucht von zwei im Nebel untergetauchten DJs, unterstützt von trillerpfeifenden und „aciiiiieeed„ -schreienden Freaks im sorglosen Teenie-Alter. An der Kasse lächeln mich Ulf und seine vielen Smiley-Badges an. 2.000 Tanzwütige sind seit Anfang der Party hier eingelaufen, und sieben DJs aus Berlin, Westdeutschland und London haben sich bisher die Plattenteller geteilt. Probleme gibt's eigentlich keine, nur das Wiederfinden des Stempelaufdrucks vom Vortage wird durch die waschwütige Reinlichkeit der Berliner erschwert.

In der Zwischenzeit hat sich eine Traube um ein Podest gebildet, auf dem zwei GoGo-Girls psychedelische Bewegungen vollführen. Votograf Owsnitzky, im ausgereiften Mannesalter, fühlt sich an seine ersten Drogenparties erinnert (als ich gerade meinen ersten Aufsatz geschrieben habe) und ist endlich gut drauf.

V. Resümee

Mußte das wirklich sein? Mußte ich extra den Stadtkern verlassen, um mich zu unterhalten? Habe ich solche Aufträge verdient?

Connie Kolb

(Anmerkung der Redaktion: Aber sicher, solche Aufträge hat sie verdient!)