Von Liebestoden, Trauer & Tschernobyl

■ Alexander Kluges „Vermischte Nachrichten“

Alexander Kluge ist Jurist und Poet. Auf die Anklagebank setzt er stets die Wirklichkeit, von der Kluge meint, daß „die schärfste Ideologie ist, daß sich Realität auf ihren realistischen Charakter beruft“. Juristisch ausgedrückt beharrt, die Wirklichkeit dreist auf der normativen Kraft des Faktischen und erscheint so nicht als geschichtlich Gewordenes, sondern als naturhaft Unveränderbares. Will man realistisch erzählen, muß die Wirklichkeit daher zersplittert, zertrennt und neu verbunden werden. So kann man, provisorisch, die Grundlage von Kluges Filmen abstecken.

Auf der bunten Seite, unter der Sparte Vermischtes, steht scheinbar wahllos, was in die anderen Rubriken nicht paßt: Unglücke, Kurioses, Skurriles, Sensationelles. Diesem Strickmuster folgt auch diese Collage.

Vermischte Nachrichten (1986) war der 29.Film von Alexander Kluge und, wie es scheint, vorerst sein letzter Kinofilm. Danach wandte er sich dem Satelliten-TV zu und produziert nun allmontaglich für RTL und Sat ein Kulturmagazin, das unverkennbar seine Handschrift trägt. Ästhetisch ist der Film schon ein Zwitter zwischen Kinoessay und Klugeschem Fernsehfeature. Im losen Rahmen einer Nachrichtensendung werden faits divers, Episoden und Aphorismen vorgestellt, die allesamt um ein Thema gruppiert sind: den Tod. Kluge hat den Film seinem Freund, dem Historiker und SPD-Politiker Hans-Dieter Müller gewidmet, der im Frühjahr 1986 starb. Nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl wollte Kluge einen bereits geplanten Spielfilm nicht mehr drehen. Der Fallout soll mitgedacht werden, wenn man nach dem Zwischentitel „Sommer 1986“ wogende Blumen und Kirschbaumblüten vor Frankfurts Skyline sieht. Und in einer fast melodramatischen Miniatur sieht man ein Kleinkind, das in die Kamera blickt, und dazu eingeblendet ein Datum: „26.April 1986, 22 Uhr“. Das ungemütliche Sterben in bundesdeutschen Krankenhäusern ist ein weiteres Trauermotiv. Eine Frau, der ärztlicherseits keine Chancen mehr gegeben werden, vegetiert noch bis Silvester. Ihre Existenz ist Nicht-Sterben, eine Agonie, die nur noch aussieht wie Leben. - Man sieht außerdem Dokumentarbilder: 30 Jahre Bundeswehr. Militärs erklären, was sie so an Orden an ihrer Brust tragen; auch eine Variation zum Thema. Ein bundesamtlicher Film zeigt, wie sich der loyale BRD-Bürger im Ernstfall zu verhalten hat. Vorgeschrieben ist es, ein Radio mit in den Keller zu nehmen, damit die Regierbarkeit auch während und nach der atomaren Katastrophe gewahrt bleibt. Wo Absurditäten so tödlich real werden, scheint es Kluge bisweilen die Sprache verschlagen zu haben. Die listigen Off -Kommentare sind seltener geworden und haben an Ironie verloren (auch ein Trauerfall). Verglichen mit der Patriotin (1979) und der Macht der Gefühle (1983) ist diese Bilder-Montage sprunghafter, weniger dicht und weniger pointiert geraten.

Es wird viel gestorben. In Szenen aus dem Stummfilm Die Lüge der Gräfin Petrowna sehen wir eine Frau zwischen zwei Männern. Sie liebt einen feschen, jungen Offizier, gehört aber einem alten Mann. Tödliches Finale: die Gräfin bringt sich in der ehelichen Villa um. In Kluges Inszenierungen sehen Liebestode anders aus: sachlicher. In der zentralen Erzählung des Films hat der Kellner Max pro forma eine Senegalesin geheiratet. Er ist ihr verfallen, doch die Afrikanerin, die als Prostituierte arbeitet, will von ihrem Scheingatten nichts wissen. Max versteht die Lage nicht, denn erstens ist sie seine Frau, zweitens zur Hörigkeit geboren und drittens liebt er sie. Sexualität wird in Geld verrechnet, Gefühle bar bezahlt. Am Schluß liegt Max erschossen in einem Aufzug. Ein moderner amour fou: wenn cash and carry nicht klappt. Kluge sagt: Gefühle glauben an einen glücklichen Ausgang. Unter den herrschenden (Tausch -)Verhältnissen ist das nur bedingt eine Hoffnung. Aus den Versprechen von Liebe und Geborgenheit wird so „Beziehungsgeld“, mit dem sich bezahlen, spekulieren und wuchern läßt. Weil die Logik des Kapitals auch im Schlafzimmer mächtig ist, muß man Liebe als Produktionsverhältnis begreifen.

Man kann die Episode vom Kellner Max als Gegenentwurf zur Schlußgeschichte der Macht der Gefühle (1983) ansehen. Dort findet ein Pärchen einen Ermordeten, weigert sich, aber diesen Tod anzuerkennen. Wochenlang schleppen sie die Leiche mit sich herum, bis der Gestorbene eines Tages die Augen wieder aufschlägt. Die Arbeit hat den Gefühlen zu einem glücklichen Ausgang verholfen und symbolisch die tote Logik des „Beziehungsgeldes“ überwunden. Solche wunderbaren, schwer erkämpften Erlösungen gibt es in Vermischte Nachrichten nicht mehr.

Fahriger als in früheren Filmen streift Kluge durch seine Anekdoten. Manche Schnitte und Sprünge wecken den Verdacht von Beliebigkeit und machen ratlos. (Das ist doch nicht schlimm, würde Kluge wahrscheinlich einwerfen. Vielleicht.) Vermischte Nachrichten besteht, noch stärker als frühere Filme, aus Selbstzitaten und Anleihen bei älteren Figuren, Sequenzen und Ideen. Kellner Max kommt bereits in einem Filmentwurf von 1976 vor. Die kannibalistische Stalingrad -Szene fußt auf Beschreibungen aus dem Montage-Roman Schlachtbeschreibung (1964). Von Volker Schlöndorff stammt ein (wohl für Krieg und Frieden gedrehtes) dokumentarisches Porträt eines Besuchs von Helmut Schmidt in Werbellin bei Erich Honecker. Die Visite wird vorzeitig abgebrochen, weil in Polen das Kriegsrecht verhängt wird: ein (ost-)politischer Trauerfall. Wie schon in dem Strauß -Film Der Kandidat (1980) verliert die Macht in der Nahaufnahme ihren Schrecken. Menschlich gesehen sind die Herrscher eher hilflose Gestalten, weil sie der Macht, die sie repräsentieren, nicht gerecht werden können.

Bilder einer Beerdigungsgesellschaft, die einen Verwandten unter die Erde bringt, ergänzt Kluge schließlich mit einem Schlagertext: „Glücklich ist, wer vergißt, was doch nicht zu ändern ist.“ Trauerarbeit findet nicht mehr statt. Der leise Optimismus, der früher durch die ironischen Kommentare schimmerte, ist rar geworden. Lösungen sind nicht in Aussicht gestellt. Vermischte Nachrichten ist eine finstere Bestandsaufnahme unter veränderten, postkatastrophalen Bedingungen, die nebenher etwas verrät von der Müdigkeit des Kinoregisseurs Alexander Kluge.

Stefan Reinecke

Vermischte Nachrichten mit Marita Breuer, Rosel Zech, Sabine Wegner, Andre Jung, Sabine Trooger; ZDF, 23 Uhr 10.