„Slawinnen spielen gern“

Die Handballfrauen von Radnicki Belgrad begeisterten beim Gießener „Eurocup“  ■  Aus Gießen Torsten Haselbauer

Männer, die Erfolg haben, sind im allgemeinen schon sehr zufrieden. Aber Männer, die mit Frauen Erfolg haben, ganz besonders. Milorad Milathovic ist einer von diesen Typen. Der 40jährige Jugoslawe betreut die Damenhandballmannschaft von RK Radnicki Belgrad und damit derzeit wohl die Ausnahmeathletinnen des blockfreien Landes schlechthin.

Auch beim Gießener „Eurocup“, den der amtierende bundesdeutsche Meister TV Lützellinden gleich zu Beginn dieses Jahres aus der Taufe hob, zeigten sich die Jugoslawinnen über Angriffe und Konter der Konkurrenz erhaben. Weder der französische Meister aus Besan?on noch die tschechischen Damen aus Sala waren in der Lage, den Belgraderinnen annähernd das Wasser zu reichen. Ganz zu schweigen von dem Zweitligisten TV Mainzlar. Lediglich Dr.Gerlach, Trainer und Manager des aufstrebenden Dorfvereines TV Lützellinden, fand noch aufmunternde Worte für seine handballspielenden Frauen, die er mit der denkbar knappsten Niederlage von einem Tor (23:24) unter die Dusche schicken konnte.

Den Beobachtern der viertägigen Handballdemonstration „made in Jugoslawien“ hatte es längst die Sprache verschlagen. Sie beschäftigte nur die eine Frage: Warum sind die eigentlich so viel besser? Endlich, als der Sieg dem RK Belgrad schon nicht mehr zu nehmen war, lüftete der erfolgreiche und zufriedene Milorad Milathovic das Geheimnis des dreimaligen Europapokalsiegers der Landesmeisterinnen: „Slawinnen spielen sehr gerne, vorzugsweise Handball. Das liegt in der Mentalität begründet.“ Ach so.

In Belgrad werden die trefflichsten Handballerinnen des Vielvölkerstaates zusammengeführt. Bereits in der Schule, später an der Universität kommen die Ballästhetinnen in den Genuß einer „lokomotorischen“ Ausbildung, was „den ganzen Körper betreffend“ bedeutet. Den Spielerinnen von Radnicki Belgrad, die schließlich die zehn besten Jahre ihres Lebens auf dem harten Parkett verbringen, geht es dabei offensichtlich ganz gut. Dafür bürgen schon die drei Firmenembleme auf der Brust. Als Zubrot schießt der Staat den Spitzensportlerinnen noch einiges zu. „Damit läßt es sich in Jugoslawien ganz anständig leben“, gibt Milathovic unumwunden preis.

Folgerichtig zeigte seine Truppe beim Gießener Eurocup, wie man als Frau in Belgrad zu einem anständigen Leben kommt: ein moderner Frauenhandball der Zukunft, der sich neben den Tugenden von Kraft und Körperfülle des großen Bruders Sowjetunion durch irrsinniges Tempo, Spielwitz und verwirrende Kombinationen auszeichnet. So weisen auch mit Ausnahme von zwei Akteurinnen alle Frauen des Handballkollektivs Belgrad Nationalmannschaftserfahrungen auf. Das Zusammenzählen der Länderspieleinsätze würde die mathematische Kompetenz des gemeinen Sportjournalisten übersteigen.

Herausragend die Kapitänin des Dauermeisters, Mirjana Djurica. Die im Rückraum agierende weltbeste Handballerin zeigte nicht nur dem handballgeschulten Auge der Fachmänner überdeutlich, was eine lokomotorische Ausbildung bedeutet: Antrittsschnelligkeit, Ausdauer, Ballsicherheit und ein Blick für die besser postierte Mitspielerin. Die Anspiele der Jugoslawin waren zum Teil so uneigennützig plaziert, daß sie zuweilen selbst ihre Kolleginnen überraschten, die Gegnerinnen sowieso. Daß Djurica mitunter selbst den kleinen Lederball so heftig in die Maschen setzte, daß der Torhüterin Sehen und Hören verging, ist selbstverständlich.

Und was macht der Frauenhandball in der Bundesrepublik? Richtig. Das einzig Wahre, nämlich lernen. Der TV Lützellinden, neben Bayer Leverkusen das Team hierzulande mit internationaler Klasse, bewies, daß er sich Gegnerinnen Belgrader Kalibers bald stellen kann. Als der Sprecher die Aufstellung des heimischen Clubs in die Gießener Osthalle brüllte, um nicht im Lärm der fast 2.000 Handballverrückten unterzugehen, wurde deutlich, warum. Lützellinden beschäftigt selbst eine Menge Spielerinnen aus dem sozialistischen Ausland, für anständige Bezahlung sorgen Sponsoren. Der Rest hingegen, der sich noch in der Frauen -Bundesliga tummelt, mit Ausnahme der Leverkusener Pillenmannschaft, nagt am Hungertuch und stagniert in der Spielkultur.

Kein Wunder also, daß die Handballtrainer der Bundesliga zuerst das Ziel verfolgen, den Sport populärer zu machen, um dann besser an Sponsoren verkaufen zu können. Daß die Auflagen des Deutschen Handballbundes, die den Aktiven lediglich ein Werbeschild pro Trikot genehmigen, den Machern ein Dorn im Auge sind, versteht sich von selbst. Aber es wird auch die Zeit kommen, wenn Frauenhandballerinnen von ihrem 60minütigen Ballzuwerfen in der Bundesrepublik „anständig leben“ werden. Wenn sie dabei so genial spielen wie Radnicki Belgrad, spricht eigentlich nichts dagegen.