Woronzow warnt vor Spaltung Afghanistans

Zum Abschluß der viertägigen Islamabad-Verhandlungen warnt der stellvertretende sowjetische Außenminister noch einmal die von den USA gestützten Mudschahedin, statt auf eine politische Lösung weiterhin auf militärische Konfrontation zu setzen  ■  Aus Islamabad Simone Lenz

Stillstand oder Bewegung, lautete am Samstag auf der Pressekonferenz des stellvertretenden sowjetischen Außenministers und Botschafters in Kabul, Yuli Woronzow, nach den viertägigen Islamabad-Verhandlungen die entscheidende Frage. „Warum zeigt die Sowjetunion keine Bereitschaft, die Kabuler Stellvertreter aus dem Weg zu räumen, wenn es für die Mudschahedin doch offensichtlich keine politische Lösung unter Beteiligung der kommunistischen Kräfte gibt?“ wollten es Afghanistan -Experten genauer wissen. Woronzows Vorstellungen über die Kabuler Metamorphose sind einfach: „Das Regime ist stark, es wird nicht einfach verschwinden, es wird sich allmählich in ein anderes verwandeln.“

Den Mudschahedin-Vorschlag einer Shoora, eines Beratungsgremiums, das bis zur Durchführung allgemeiner Wahlen eine Übergangsregierung stellen soll, hält der Moskau -Unterhändler für einen konstruktiven Ansatz. Differenzen gibt es allein über die Zusammensetzung dieses Gremiums. Die Vereinten Nationen könnten hier nach Moskauer Gusto eine wichtige Rolle spielen und die Repräsentation des gesamten afghanischen Volkes gewährleisten. Die von der in Pakistan stationierten Siebener-Allianz angedeutete Einladungspraxis, aus den Reihen der Kabuler Stellvertreter nur jene „guten Moslime“ handzuverlesen, die sich als reine Technokraten während der letzten neun Jahre nichts haben zuschulden kommen lassen, hält Worozow hingegen für einseitig.

„Warum sollten wir Regierungs-Gruppierungen aus einer zukünftigen Kabuler Regierung ausschließen? Darüber soll bitte erst das afghanische Volk entscheiden“, beharrt der Botschafter. Und in seinen Augen sieht es derzeit nicht so aus, als seien die Mudschahedin an einer politischen Lösung interessiert. „Offenbar haben sie sich inzwischen an das Kämpfen gewöhnt, ich hoffe allerdings, mein Eindruck trügt.“ Und er hoffe auch, daß die Mudschahedin „ihre Gehirne“ und nicht nur die Gewehre gebrauchten.

Nichtsdestotrotz werden die Verhandlungen weitergehen. Die nächste Gesprächsrunde soll in Moskau stattfinden. Da die Mudschahedin jede Direktverhandlung als Anerkennung ihres Alleinvertretungsanspruchs für das afghanische Volk feiern, werden sie die Einladung in den Kreml nicht ausschlagen. Yuli Woronzow brachte auch die Hoffnung auf eine bessere Zusammenarbeit mit Pakistan ins Spiel und ermahnte die neue Regierung, endlich die Genfer Verträge einzuhalten und ein Komitee zur Repatriierung der Flüchtlinge ins Leben zu rufen, wie es das Abkommen vorsieht. Während seines Aufenthaltes in Islamabad hatte Woronzow einen Brief Gorbatschows an die neue pakistanische Ministerpräsidentin Benazir Bhutto überbracht. Frau Bhutto hatte in ihrer Antwort darauf erklärt, daß eine baldige Lösung des Konflikts im benachbarten Afghanistan „ein neues Kapitel in den pakistanisch-sowjetischen Beziehungen“ einleiten wird. Woronzow fuhr fort, daß er den Eindruck gewonnen habe, daß sowohl Pakistan als auch der Iran auf eine politische Lösung des Konflikts drängen. Auf die Frage, was sich die UdSSR von Zahir Shah, dem alten exilierten König, versprechen, den die Mudschahedin doch auf gar keinen Fall akzeptieren wollten, entgegnete Woronzow, es gebe durchaus große Bevölkerungsteile, die eine Rückkehr des Ex-Monarchen favorisieren. Innerhalb der Mudschahedin-Allianz gebe es allerdings Fraktionen, die nicht einmal ihre Kollegen am anderen Ende des Tisches tolerieren würden.

Die Sowjets wollen ihre restlichen 50.000 Mann in den verbleibenden fünf Wochen abziehen. Dies vermochte der geschäftige Unterhändler in den letzten Wochen zu vermitteln. Bedingungen, die eine Verzögerung veranlassen könnten, weiß er sich allerdings vorzustellen: „Die Sowjets sind keine Feiglinge, sie werden nicht davonrennen, wenn die Mudschahedin den Rückzug angreifen sollten.“

Ein Afghanistan nach dem 15.Februar kann sich noch keiner so recht ausmalen. Daß nach neun Jahren Krieg und vielen Toten auf beiden Seiten Köpfe rollen werden, scheint unumgänglich. Nicht umsonst ruft Moskau erneut nach einer Friedenstruppe islamischer Staaten unter Aufsicht der Vereinten Nationen. Für die „guten Muslime“ unter den Kabuler Stellvertretern sieht der Sohn des gegenwärtigen Sprechers der Peshawar-Allianz, Mudschaddedi Junior, eine humane Lösung vor. „Die Welt war in der Lage, mehr als drei Millionen afghanische Flüchtlinge aufzunehmen. Sie wird auch in der Lage sein, 30.000 Kommunisten aufzunehmen“, äußerte er gegenüber der taz.