Die Gottlegende lebte weiter

...obwohl Kaiser Hirohito seit 1946 nicht mehr Gott sein wollte  ■ P O R T R A I T

Seine Kaisergeschichte ist die außergewöhnlichste und vielleicht die erfolgreichste dieses Jahrhunderts. Als Enkel von Kaiser Meiji, der als erster konstitutioneller Monarch des Inselstaats die japanische Moderne begründete, wurde Hirohito am 29. April 1901 in Tokio geboren. Schon mit 20 Jahren übernahm er die Staatsgeschäfte, als sein Vater Taisho für geisteskrank erklärt wurde. 25 Jahre alt war er, als er nach dem Tod seines Vaters am Weihnachtstag 1926 den japanischen Thron bestieg. Hirohito selbst gab seiner Amtszeit den Namen „Showa“ (etwa: „Zeit des erleuchteten Friedens) - und führte Japan in den Krieg. Der Besetzung von Teilen der Mandschurei 1931 folgte der Krieg gegen China 1937 und im Dezember 1941 der Überfall auf das US -amerikanische Pearl Harbor.

Die Mehrheit der Historiker ist sich einig, daß die eigentlichen Kriegstreiber in der Militärführung saßen. Und doch gibt es keinen Zweifel, daß Hirohito während des gesamten Zweiten Weltkriegs bei allen bedeutenden Kriegsentscheidungen konsultiert wurde und die Entscheidungen von seiner Zustimmung abhängig waren. Der Völkermord im chinesischen Nanking, die Menschenversuche in der Mandschurei - gegen den Willen des Kaisers hätten Nippons größte Verbrechen nicht stattfinden können.

Nur einmal in seinem Leben sagte Hirohito gegenüber seinen Generälen Nein - dieses Wort, das es in der japanischen Sprache eigentlich nicht gibt. Gegen den Wunsch seiner Militärführung befahl er am 15.August 1945, nach den Atombombenexplosionen über Hiroschima und Nagasaki, die Kapitulation und rettete damit auch das Tenno-System. Die US -amerikanische Besatzungsmacht fand in der letzten Kriegshandlung Hirohitos die willkommene Rechtfertigung, den Monarchen im Amt zu belassen, um so, wie es damals Besatzungschef Douglas McArthur formulierte, die „soziale Fabrik Japan nicht zu zerstören und damit gleichzeitig politische Unruhen und kommunistische Strömungen abzuwehren“.

Hirohito überlebte als Staatsoberhaupt - aber nicht als Gott: Am 1. Januar 1946 stellte er die ihm bis dahin zugeschriebene Göttlichkeit als „Legende“ dar und kehrte als gewöhnlicher Sterblicher auf die Erde zurück. McArthur schickte ihn gar auf Stipvisiten unters Volk, was dem Kaiser schnell eine Beliebtheit und Sympathie eintrug, die den Göttern des japanischen Schintoismus zuvor kaum zuteil geworden war.

Doch auch wenn der Schintoismus als Staatsreligion ausgedient hatte - seine Legenden, nach denen die japanischen Kaiser allesamt von der Sonnengöttin Amaterasu abstammen, wurden in Japan weiter gelehrt und unterrichtet. Der Schintoismus ist eine Religion, die sich schon durch die Jahrhunderte immer wieder unterschiedlichen Gesellschaftssystemen anzupassen vermochte, vor allem weil sie weniger aus einem genauen Moralkodex denn aus traditionellen Ritualen besteht. Der Glaube an den kaiserlichen Gott blieb meist abstrakt, ohne daß dieser eine zur Schau gestellte religiöse Autorität auszuüben hatte. So wird verständlich, warum der göttliche Glaube an Hirohito bis heute, besonders in den ländlichen Gegenden, nie gänzlich verschwunden ist. Hirohito dementierte 1946 eine Legende, doch diese hatte sich längst verselbständigt. Auch international, wie die ersten Nachrufe zeigen: 'Le Monde‘ jedenfalls beeilte sich, ihn als „Abbild seines gesamten Volkes“ zu preisen.

gb