Japan schreibt wieder das Jahr eins

■ Fünf Stunden nach dem Tod von Kaiser Hirohito bestieg am Samstag Kronprinz Akihito den Thron

Als Japans Kaiser Hirohito sich im vergangenen September zum langen Sterben niederlegte, stand wochenlang das öffentliche Leben still. Als der Tenno schließlich am Samstag morgen seinem Krebsleiden erlag, verlief der Thronwechsel ganz schlicht und schnell. Schon wenige Stunden später hatte Kronprinz Akihito die kaiserlichen Insignien entgegengenommen.

Trauer, Nostalgie und ein guter Schuß Erleichterung beherrschten am Wochenende das öffentliche Leben in Japan, als der 111tägige Todeskampf des Tenno endlich zu Ende gegangen war. Kaum hatte das Fernsehen um acht Uhr morgens den Tod Hirohitos bekanntgegeben, da strebten die Massen dem Palast zu. Viele weinend, andere nur neugierig, belagerten sie die Eingangstore, bis die Kondolenzbücher aufgeschlagen wurden. 300.000 Japaner hatten sich bis zehn Uhr abends eingetragen. Doch schon ein paar Straßenblocks weiter war es so voll wie an jedem Samstag, die Bankschalter nahmen Schecks entgegen. Lediglich die Börse blieb an diesem Vormittag geschlossen, und auch die schwergewichtigen Sumo -Ringer - Hirohito galt als Anhänger dieser uralten Sportart - gingen am Wochenende nicht an den Start.

Auf den Straßen Tokios sah man mehr Schwarz als sonst, doch vielen Jugendlichen war der Tod ihres Staatsoberhauptes, das bis 1946 noch als Gott verehrt worden war, egal. Norio Odawara, Mitarbeiter des „Tag-X-Büros“, das seit Monaten die Tenno-kritischen Gruppen Japans auf den Todestag („Tag X“) hin koordiniert, meinte: „Die Menschen haben die Nase voll von dieser Tenno-Euphorie. Es hat einfach zu lange gedauert, bis dieser Tag gekommen ist. Kleine Unternehmer und Freiberufliche haben auch wirtschaftlich unter den freiwilligen Beschränkungen, die während der letzten Monate im gesamten öffentlichen Leben galten, gelitten.“

In Osaka fand am Sonntag, als „Neujahrsparade“ getarnt, eine Demonstration von rund 1.000 Menschen statt. Ihre Parole: „Wir brauchen keinen Tenno, der die Wurzel von Krieg und Diskriminierung ist.“ Vor allem in Tokio war vorgesorgt: 15.000 Polizisten patrouillierten durch die Hauptstadt in Erwartung militanter Demonstranten. Zehn Demonstranten wurden am Samstag in Präventivhaft genommen - angeblich hätten sie Waffen für eine illegale Demonstration gesammelt. Doch die Demonstrationen blieben - trotz oder wegen des Massenaufmarsches von Uniformierten - klein und friedlich.

Die Regierung brachte den Wechsel von einem Kaiser zum anderen mehr als zügig über die Bühne - und leistete sich dabei noch eine Geste gegenüber den Kritikern der Monarchie. Die Zeremonie, in der Kronprinz Akihito (55) der schon seit dem 22. September letzten Jahres die Staatsgeschäfte geführt hatte, dauerte nur vier Minuten. Und noch am Nachmittag verkündete das Kabinett den Namen der neuen Ära, die wieder mit dem Jahr eins beginnt: „Heisei“, zu deutsch: „Vollendung des Friedens“.

Ein offizieller Beisetzungstermin für seinen Vater liegt noch nicht fest. Allerdings wird - im Anschluß an eine sechswöchige Staatstrauer - der 24. Februar genannt. Bis die Krönungszeremonie des neuen Kaisers stattfinden kann, verlangt der schintoistische Ritus sogar eine Trauerzeit von einem Jahr. Und dann muß noch auf die Reisernte im Herbst gewartet werden - eine Erinnerung an die frühere Rolle des Tennos als Oberster Priester.

mr