Tenno und Regierung

Der Kaiser ist tot, es lebe der Kaiser. Mit kühler politischer Professionalität inszeniert die japanische Regierung ein Ereignis, das für die dortige Geschichtsschreibung einer Jahrhundertwende gleichkommt. Anders als 1926, als die Wachablösung des Tennos, jenes „Herren des Himmels“, wie die Japaner ihren Obersten nennen, einen nationalistischen Neuaufbruch einläutete und Pogrome gegen Kommunisten zur Folge hatte, will Tokio diesmal jede Aufregung im Volk vermeiden. Grund dafür gab es seit September.

Als damals das - von den Ärzten längst erkannte Krebsleiden Hirohitos auch öffentlich bekannt wurde, da gab es so etwas wie ein spätes Coming-out des sterbenden Kaisers. Erstmals seit dem Kriegsende war der Tenno in Japan wieder Tagesthema Nummer eins. Die Nation besann sich seiner kaiserlichen Existenz und trat an, um sich zu verneigen. Bis zu einer halben Million Japaner täglich rannten im September zu den Tenno-„Betstellen“ im ganzen Land und gaben ihre Unterschrift für die rasche Genesung ihres alten Führers. In kaiserlicher Selbstdisziplin hißten Schulen die nationale Flagge, beendeten Kaufhäuser ihre Schlußverkäufe. Rasch begriff die Regierung in Tokio, daß sich der neue Tenno -Eifer der Japaner, wenn nicht zur wirtschaftlichen, dann doch zur moralischen Gefahr entwickeln konnte, die die Autorität der demokratisch Regierenden zu untergraben drohte. Dies um so mehr in einer Zeit, wo Premierminister Takeshita in einen Börsenskandal um die japanische Firma Recruit Cosmus verwickelt war, der sich - bis zur vorläufigen Beilegung im Dezember - zur bedeutendsten Schmiergeldaffäre im Nachkriegs-Nippon mauserte.

Kurz, der Tenno-Aufruhr verunsicherte die Tokioter Machthaber, und sie ließen alsbald zur Ruhe und Mäßigung aufrufen. So ist heute schwer feststellbar, weshalb die Kaisereuphorie in den späteren Herbstmonaten verblaßte. Waren die Japaner doch des unendlichen Medienzirkusses um den Kaiserpalast überdrüssig? Oder folgten sie den mahnenden Stimmen der Regierung? In Tokio jedenfalls herrschte am Todestag Hirohitos, eine etwas befremdliche Ruhe.

Was nun abläuft, hat die Regierung fest in der Hand. Bereits im Dezember konnte man beim staatlichen Fernsehsender NHK erfahren, daß der Tenno voraussichtlich am 7. Januar sterben werde. Er starb schließlich einen Tag eher, doch sind nun die Bedingungen für eine rasche, unkomplizierte Abwicklung der ersten Trauerfeierlichkeiten wie für den günstigsten Fall beschaffen.

Die von der Regierung verordneten zwei Trauertage fallen nun aufs Wochenende, auch die Börse konnte nicht spontan reagieren. Am Montag kann in den Betrieben wieder wie gewohnt gearbeitet werden. Erst wenn der Alltag insbesondere in den Medien - wieder eingekehrt ist, die nun tagelang pausenlos über den Tenno berichten werden, wird man sich in den Tokioter Regierungsetagen erneut und auf dann sorgsamere Weise dem kaiserlichen Hof zuwenden. „Es ist ganz deutlich, daß die charismatische Ausstrahlung Akihitos im Vergleich zu seinem Vater sinken wird“, schrieb der japanische Historiker Mitchio Nakajima bereits vor einem Monat im Tokioter 'Asahi-Journal‘ über den Thronfolger Hirohitos. „Dann werden sich diejenigen, die weiterhin die Autorität des Tennos ausnutzen wollen, sehr schnell um neue Mittel bemühen.

Für japanische Verhältnisse außergewöhnlich deutlich warnt Nakajima vor Bestrebungen in der Regierungspartei, die mit einem weiteren gesetzlichen Ausbau des Tennosystems den Nationalismus stärken wollen - beispielsweise durch das Absingen der Nationalhymne an den Schulen oder indem derjenige Verfassungsartikel, der dem Land die Einrichtung einer Armee verbietet, in Frage gestellt wird.

Gerade Akihito mit seiner aus nichtaristokratischen Kreisen stammenden Frau Michiko kann es paradoxerweise gelingen, das kaiserliche System in Japan erneut zu stärken. Kaiserlich -nationalistische Kundgebungen werden in Zukunft weit weniger die Lasten der Vergangenheit zu tragen haben. Daß dem modern lebenden Akihito ein Teil der Autorität seines Vaters fehlen wird, kann denen nur recht sein, die das Tennosystem von ihren Regierungssesseln aus nach eigenem Gutdünken steuern.

Georg Blume