Wer auf den Dreck zeigt...-betr.: Weihnachts-Cartoon, taz vom 24.12.88 und Leserbriefe dazu, taz vom 4.1.89

betr.: Weihnachts-Cartoon von Elisabeth Kmölniger, taz vom 24.12.88, und Leserbriefe dazu, taz vom 4.1.89

Der Text von Tom Waits und die Zeichnungen von Elisabeth Kmölniger waren - endlich einmal - die angemessene Reaktion auf eine pausenlose Verdummung. Zwangsläufig folgte darauf die obligate christliche Empörung.

So verdreht ist das in der Welt: uns allen aufgezwungene, aus Machtbewußtsein gesetzte pervertierte und kommerzialisierte Feiertage, Dauer-Karnevalskostüme, unbefleckte Empfängnis, sexuelle Reduktionen, die ekelhafte Heuchelei der Beichte, das Segnen von Kanonen und Bomben, die unbarmherzige Missionierung Andersdenkender, Marien- und Heiligenkulte, Weihwasser, Teufel, kannibalistische Rituale und nicht zuletzt „das leidige Marterholz, das Widerwärtigste unter der Sohne“ (Goethe) werden zum unantastbaren Heiligtum erhoben, die Kritiker hingegen zu Menschenverachtern und Verblendeten erklärt.

Blickt man zurück in die Geschichte dieser Religion, zeigt sich, daß immer, wenn sie durfte, die institutionalisierte Intoleranz, auch christliche Kirche genannt, losgelassen jenseits der humanen Gesetze, deren jedes gegen ihren Widerstand durchgesetzt werden mußte, sie sich in einem ungeheuren Maß ausgetobt hat gegen Ketzer, Hexen, Heiden, kurz allen, die ihr im Wege standen. Die Parole hieß: „zu würgen, zu stechen, heimlich und öffentlich, wer da kann (und jeden Kritiker totzuschlagen), wie man einen tollen Hund todtschlagen muß“ (Luther).

Verständlich also, wenn Karlheinz Deschner schreibt: „Als man ihm im letzten Augenblick durch Rauch und Feuer ein Kreuz vorhielt, wandte sich Giordano Bruno mit unsäglicher Verachtung davon ab und starb.“

Dr. Adolf Ebeling, Alfeld/Leine

Die heftige Reaktion vieler taz-Leser auf die Weihnachts -Comics überrascht mich. Auch auf mich hat deren anal -brutales Niveau abstoßend gewirkt. Doch störender daran finde ich, daß die taz mal wieder ein christliches Thema darstellt, so als ob dieses noch Allgemeingültigkeit hätte, was ich zumindest für taz-Leser nicht voraussetzen würde.

Zum Beispiel beruht die ganze Christus-Geschichte - nach für mich glaubwürdigen Informationen - nicht auf Tatsachen, sondern auf einer kollektiven Phantasie der damaligen Gesellschaft, um von dieser symbolhaft für das eigene Leben Erkenntnisse zu beziehen. Die Geschichte hat aber gezeigt, daß die Christus-Geschichte eher das Gegenteil bewirkt hat, sie wurde benutzt, die Aufmerksamkeit der Christen vom tatsächlichen Leben ab- und auf diese Geschichte zu lenken, während sich das Christus-Drama im tatsächlichen Leben unbeachtet vielleicht noch intensiver ständig wiederholt hat.

Insofern macht der Comic, wenn auch vielleicht unbeabsichtigt, auf eine der vielen alltäglichen Verlogenheiten aufmerksam, nämlich das liebreizende (oder auch ungeborene) Baby zu verehren, denselben erwachsenen Menschen, der entschieden für eine gute Sache oder auch „nur“ sein eigenes Leben eintritt, aber zu foltern.

Die üblen Folgen christlichen Einflusses aufzudecken, halte ich in der taz für angebracht, nicht aber eine Beweihräucherung der Kirche und ihrer Lehren. Es ist meiner Meinung nach unzweifelhaft, daß die christliche Religion zu Fehlentwicklungen geführt hat, über die in der taz täglich berichtet wird (Mißachtung der nichtmenschlichen Natur und des körperlichen Lebens allgemein, Unterdrückung der Frauen, Zerstörung „heidnischer“ Kulturen).

Bevor seitenweise darüber berichtet wird, wie denn nun der neue Bischof von X heißt (hierfür gibt es doch die Kirchenzeitung), sollte in der taz mehr Platz für grundsätzliche religiöse (spirituelle) Fragen, Thesen, Diskussionen eingeräumt werden.

Ralf Folken, Köln

(...) Angesichts einer solchen Ladung geballter Dummheit, wie sie sich auf der Leserbriefseite vom 4. Januar niederschlägt, scheint mir jeglicher offene Widerstand vergeudete Liebesmüh, nein, es ist höchste Zeit, in den Untergrund (und wenn es die nächste Kneipe ist) abzutauchen.

Daß Carmen und Rene Böll protestieren, war zu erwarten, daß aber Leute mit Rosa Luxemburg für das religiöse Empfinden (das übrigens noch nie etwas anderes als sich selbst beachtet hat) einzutreten wagen, sich also mit klebrigen Pfoten an einer Toten zu schaffen machen, wird nur noch von der Dreistigkeit der angeblich aus der Kirche ausgetretenen (Geld sparen, wa?) Dr. Wendt übertroffen, die auch noch den Karikaturisten rausgeschmissen haben möchte. Wenn es nach dieser Sorte Christen ginge, die große Säuberung könnte sofort beginnen. Wie schön, daß sich wenigstens ab und zu der Teufel einen holt von dieser Sorte und ihn dann frißt mit Haut und Haaren.

Klaus W.Kowol, Bergneustadt

(...) Die anstößige Karikatur entschädigte mich für die vielen heuchlerischen Weihnachten und sogar Weihnachte (Namenweihe, Taufe, Jugendweihe, Konfirmation etc.), die ich in präpubertären Zeiten auch noch über mich ergehen lassen mußte.

Na ja, eine gelungene Karikatur überläßt die Interpretation halt der Sichtweise deRS BetrachterSIn... Zieht „Kmö.“ tatsächlich „den (und wenn ja: welchen?) Vorgang der Geburt ... in den Schmutz“ oder prangert SIER die Sauereien der christlich geprägten Geburtshilfe an (noch nie Fotos in Geburtshilfeschinken gesehen oder gefilmte „Bilderbuchgeburten“?)? Wieso laufen's nicht besser ersatzweise Sturm gegen deren ideologische Wurzeln? Die und deren Folgen - und nicht die anprangernde Karikatur verletzen meine Gefühle nicht zu knapp - und übrigens auch meinen Körper. Immerhin pflanzt das christliche Weltbild sich bis heute unter anderem auch in der Geburtshilfe fort: Eine Frau gehört aufs Kreuz gelegt, und mann muß ihr von oben herab kommen. Dabei werden Kind und Frau nun mal physisch verletzt (bildlich: Dornenkrone), das Kind ist bekanntlich schuld - denn es kann sich ja nicht gegen so blödsinnige Beschuldigungen wehren - (Erbsünde!), und die Frau ist eh kein Mensch (sei dem Manne untertan, kein aufrechter Gang, soll in Schmerzen gebären). Das ganze ist gottgewollt. Na denn: Amen.

Solch dummdreiste Ideologie produziert dann hehre verletzliche Gefühle, während diejenige, die Schluß mit der „Erbsünde“ machen will, dieses menschen- (kinder-, frauen und männer-)verachtende Weltbild anprangert, der Menschenverachtung bezichtigt wird. Ein Muster, so alt wie die Religion: Wer auf den Dreck zeigt, um ihn zu beseitigen, ist ein Schwein, wer den Dreck produziert, einE HeiligeR.

(...) Ihr garniert den Vorwurf der „Kinderverachtung“ mit der wohl als geharnischte Verbal-Injurie gemeinten Vokabel „präpubertär“. Kinder pflegen aber in aller Regel nun mal präpubertär zu sein. Ihr achtet Kinder also so sehr, daß deren Eigenschaften für Euch Beleidigungscharakter annehmen. Gratuliere! Dabei kann man gerade von nun mal präpubertären Kindern sehr viel unter anderem in puncto Verweigerungsstrategien gegenüber ewig postpubertären Arschgeigern lernen - so man will.

(...) Nee, nicht Elisabeth „Kmö„s Zeichnung verletzt mich, sondern die Zustände, die sie mit ein paar Federstrichen so treffend anprangert. Und last not least: Eure verdammte Sichtweise der Zeichnung, das heißt Eure Tolerierung bis Verherrlichung dieser Zustände. Zur Verdeutlichung ein paar Fragen: Wozu braucht's eigentlich ein liebes Jesuskind? Reichen die eigenen Kinder nicht aus? Sind die irgendwie zu erbsündig oder gar präpubertär? Stören die vielleicht das Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage? Wollen die lieben Kinderlein etwa nicht alle Zu-wendungen über sich ergehen lassen? Sind sie bockig? Braucht's halt einfach noch ein Zuwendungsüberschußentsorgungsobjekt? Und noch eine Frage: Wieso ist eigentlich die Deklaration des Karfreitags zum höchsten Feiertag keine Verherrlichung von Folter? Oder Kindesmißhandlung? Und noch viel mehr gehässige Fragen, aber dann würd's noch viel mehr zu lang.

So, und wie nun zeichnen? Klar, mit Pseudonym, aber Männlich oder Weiblein? Männlein käme zwar an, aber mit mir würde nicht diskutiert. Weiblein käme gar nicht erst an und diskutiert würde auch nix. Ach, ihr könnt mich mal. Kreuzweise. Und daher:

A.B. aus C.

Ich konnte die Attribute gewaltverherrlichend, sexistisch, pornographisch, faschistoid, pubertär und unanständig nicht mit diesem Cartoon in Zusammenhang bringen. (...) Abstoßend und ekelhaft fand ich vor allem die vielen arroganten LeserInnenbriefe, die offensichtlich jede kritische Auseinandersetzung mit dem Christentum verhindern sollen. Der Vorwurf der Blasphemie trifft jeden Atheisten, der sich zur Nicht-Existenz Gottes äußert, und gilt dank der starken christlichen Lobby immer noch als Straftatbestand. Es lebe die moderne Hexenverfolgung

(...)Die Darstellung der Chartoonistin ist meines Erachtens keine Belustigung über Folter, sondern eine Abrechnung mit der christlichen Doppelmoral.

Meine Toleranz und Nächstenliebe gebieten mir, auch Menschen zu akzeptieren, die sich allsonntäglich an der Peinigung Christi aufgeilen, solange sie anderen keinen Schaden zufügen. Ich habe mich allerdings gewundert, daß so viele Menschen, die ein Folterinstrument als Symbol ihres Glaubens ausgewählt haben und in ihren Tempeln anbeten, zu den Abonnenten einer „linken“ Tageszeitung gehören. Nun, es geht hier nicht darum, die Christen insgesamt zu verurteilen, sondern lediglich darum, auf die Geschmacklosigkeit ihrer Symbole hinzuweisen.

Das Christentum durchdringt alle Bereiche unseres Lebens, jeder Widerstand ist zwecklos. Unsere gesamte Moral und Ethik baut auf der christlichen Lehre auf, ist untrennbar mit ihr verbunden. Hieraus resultiert dann auch die unerschütterliche Arroganz der Christen. Neben der Darstellung von Atheisten als Heiden und Ungläubige, die noch bekehrt werden müssen, also noch minderwertig sind, klingt die Formulierung von Herrn Werner Köhler, er habe noch nicht einmal etwas gegen atheistische Überzeugungen, solange sie in angemessener Form (christlicher Demut?) zur Diskussion gestellt werden, fast fortschrittlich. Gleichzeitig wird über die Verhöhnung religiöser Gefühle lamentiert. Stellen wir uns doch einmal vor, Atheisten würden mit der gleichen Arroganz reagieren und hätten auch die Macht dazu.

Stellen wir uns doch einmal vor, die Privilegien der christlichen Kirchen wären aufgehoben und materialistisch -atheistisch denkende Gruppen dürften für ihre Arbeit Steuern erheben, hätten in jedem Dorf eine Art atheistischen Tempel und eine Jahrhunderte alte Tradition (innerhalb der Herrschaftsstrukturen) und die Arroganz der Christen. Stellen wir uns doch vor, daß Atheisten Christen ihre atheistische Moral aufzwingen (siehe Verhütung, § 218, etc.) würden, oder daß es ein Gesetz geben würde, daß jedem verbieten würde, über den Atheismus zu lästern.

Es soll der Fantasie der LeserInnen überlassen bleiben, diese Liste fortzusetzen; mir ging es lediglich darum, die privilegierte Rolle der christlichen Ideologie darzustellen. (...)

Rudi, Martensrade