Der Kanal ist voll

■ Geisterstimmen in Oberbayern - ein Konferenzbericht oder: „Göttliche Laserstrahlen“

Martin Halter

„Wenn ein hypochondrischer Wind in den Eingeweiden tobet, so kommt es darauf an, welche Richtung er nimmt. Geht er abwärts, so wird daraus ein F-, steigt er aber aufwärts, so ist es eine Erscheinung oder heilige Eingebung.“ (Kant, „Träume eines Geistersehers“).

Dem vierschrötigen Türwächter in der Garmisch -Partenkirchener Kongreßhalle schwant nichts Gutes. „Dös san Bibelforscher“, raunt mir der Hüter der Schwelle argwöhnisch zu. Der bauernschlaue Bayer irrt: Das bunte Völkchen, das sich zur „2.Internationalen Channeling-Konferenz Kanal zum Kosmos“ versammelt hat, besteht aus New-Age-Jüngern der dritten Art: Überspannte Hippies und Ufologen, Geisterseher und „Kontaktler„; die letzten Mohikaner vom Stamme der Inkas und aztekische Schamanen, im Gefolge ein Rattenschwanz von Groupies, gastieren hier auf ihrer Europatournee, ferner Johannes Freiherr von Buttlar, der Freund der Marsmenschen. Nina Hagen, Gefolgsfrau des extraterrestrischen „Ashtar -Kommandos“, erzählt von Gott und der plejadischen Liebe, und die Schlagersängerin Penny McLean rühmt die Schutzengel und Hilfsgeister, die ihr im Haushalt zur Hand gehen. Vor allem aber sind die amerikanischen Star-„channels“ angereist, die sich für eine handvoll Dollar zum Organ der erstaunlichsten Durchsagen aus Jenseits, Zukunft und prähistorischer Zivilisation machen.

„Channeling“ ist der amerikanische Fachbegriff für „die Kommunikation mit einem nichtverkörperten Geistlehrer durch ein Medium“, wie es Veranstalter Michael Hesemann formuliert. Als „channel“ kann sich im Grunde jeder fühlen, so er sensibel genug für die Frequenz der kosmischen Radiobotschaften ist; die Verstorbenen zum Beispiel senden gern auf 1480 KHz. Dringen Geistwesen unbefugt in den Kopf ein, so spricht man von „spirituellem Hausfriedensbruch“ oder „passivem channeling (Besessenheit)“. Wer am anderen Ende des Kanals sendet, ist umstritten. Ist es bloß das kollektive Unbewußte, eine arme Seele, ein Engel des gehobenen Dienstes oder gar eine „höhere Entität“ der „geistigen Hierarchie“? Es sind jedenfalls „Wesenheiten“ und nicht jene zu Schabernack aufgelegten Klopf- und Poltergeister, wie sie der ältere Spiritismus zu beschwören liebte. Die professionellen „Kanal„-Arbeiter der achtziger Jahre haben mit den tischrückenden Jungfern des 19.Jahrhunderts noch weniger gemein. Was damals Gnade und Gesellschaftsspiel zugleich war, ist heute - zumindest in den USA, wo Shirley MacLaine den Boom vor zwei Jahren auslöste - zuvörderst Geschäft. Die Medien, die alles bis hin zur Wettervorhersage channeln, tummeln sich dort vor allem in den Medien, in Talkshows und auf Vortragsreisen. Der „finanziell erfolgreichste Kanal“ zum Beispiel, J.Z.Knight, eine propere Blondine, in deren Körper ein 35.000 Jahre alter „Lord des Windes“ namens Ramtha einfährt, ist immerhin geistesgegenwärtig genug, für ihre showreifen „Audienzen“ 400 Dollar Eintritt zu verlangen. Ramthas Predigten füllen mittlerweile 900 Videobänder, und das Ehepaar Knight hat Millionen mit dem Verkauf „erdbebensicherer“ Grundstücke an Hollywood-Prominenz verdient.

Die deutsche Channel-Szene steckt dagegen noch in den Kinderschuhen - obwohl Raumschiffkommandant Ashtar, eine Art astraler Perry Rhodan, schon seit gut 30 Jahren gehaltvolle Botschaften zur Erde funkt. Den Kanal zum Kosmos bekommt man aber auch in der spirituellen Diaspora schnell voll. Routinierte Medien bedürfen nicht einmal mehr der Trance, um ausführlichst Nachricht von droben und drüben zu geben. Moritz Boerner, Autor des ersten deutschen Channel -Handbuches, läßt den Geist am liebsten in der Badewanne über sich kommen, weil man „da kein Ego hat“. Das vernünftelnde „Ego-Bewußtsein“ heißt es nämlich abschalten, wenn man mit Heiligen, „Raumbrüdern“ oder einer „Glückseligen Mutter“ aus dem Himalaya in näheren Verkehr treten will. Deshalb gehört auch die sogenannte „Kanalreinigung“ zu den unverzichtbaren Zurüstungen jedes Mediums. Freilich kommt es auf die trüben Prophezeiungen und Weltbilder, die sich durch die Kanäle ergießen, gar nicht so sehr an: Die Tatsache des „Kontaktes“ ist schon der stärkste Aufruf. Das Medium ist sich Botschaft genug.

Erste praktische Erfahrungen mit der kreativen Potenz der Kanalwerker gewinne ich in dem „inspirierten Konzert“ von „Ascentia“, einer ganz in Gaze schmachtenden Ex-Operndiva, die ihr „vollständig gechanneltes“ Liedgut bescheiden als Geschenk ankündigt: „Schöne Melodien und erstaunliche modale Frequenzen strömen hervor und bereiten den Zuhörern ein unvergeßliches spirituelles Erlebnis.“ Das zweistündige Konzert - ein Hilfsgeist bedient neun schwere Gongs offenbart auch meinem uninspirierten Ohr eine „bislang unbekannte Form tonaler Ästhetik“. Verglichen mit Ascentias okkultem Belcanto klingt das „Sonderkonzert der 1.Gebirgsjägerdivision“, das unter großem Zuspruch einheimischer Gamsbartträger im Nebensaal über die Bühne geht, wie Musik in meinen Ohren.

Bleiben immer noch die prosaischen Durchgaben von drüben, die auf diesem zweiten „Öffentlichen Symposium galaktischer Weisheitslehrer seit den Tagen von Atlantis“ (das erste fand im Juni '88 in Murnau statt) nichts Geringeres als das zukünftige Glück einer geläuterten Menschheit betreffen. Vom gewöhnlichen Spiritismus weiß man ja, daß die Qualität der Parabotschaften mit den technologischen Fortschritten des medialen Kommunikationswesens nicht immer Schritt zu halten vermag - ein Befund, der freilich auch auf die diesseitige Telekommunikation zutrifft. Die „Stimmenforscherin“ Hildegard Schäfer hat Gesprächsfetzen aus dem Jenseits überliefert, deren spiritueller Gehalt jenen von Radiowunschprogrammen, Ferienpostkarten oder Telefonplaudereien kaum übertrifft: „Grüß dich, Ernst Tante Hedl ist bei mir - Grüße aus dem Jenseits, der Mama sagen - Gute Nacht“. Was auf den bayerischen Channel -Konferenzen durchdringt, geht mehr ins Bedeutend -Allgemeine: „Wir sind Zoral und grüßen Euch. Unsere Aufgabe auf diesem Planeten ist, die Kinder des Lichtes zu kontrollieren und inspirieren - Ich bin Ashtar. Grüße, meine Freunde. Ihr habt rechtzeitig den Zweck dieser Zusammenkunft entdeckt. Es ist eine große Begegnung und das ist ihr eigentlicher Zweck - Mein Name ist Atar. Bitte verwechselt mich nicht mit dem, der sich Ashtar nennt.“

Wir stehen hier vor einem „Kommunikationsfiasko“, wie es Kursbuch-Herausgeber Karl-Markus Michel in seiner Phänomenologie der Geisterstimmen ausdrückte. Lernen die drüben nichts dazu? Warum wollen die abgeschiedenen Seelen und Wesen überhaupt den Kontakt mit uns irdisch Zurückgebliebenen anspinnen? Woher diese extraterrestrische Banalität? Das Problem ist auch in esoterischen Kreisen längst erfaßt worden. Die eine Schule behauptet, gerade die nichtssagenden Vertraulichkeiten der Durchgaben, dieser unverwechselbare Klatsch und Quatsch, sei das sicherste Mittel, einen unserer verblichenen Lieben zu identifizieren. Überhaupt sind ja gerade die allzu menschlichen Umgangsformen im Jenseits die besten Zeugnisse der nachtodlichen Lebensqualität.

Intelligente Geister verweisen auf die Aporie jeder Geisterkommunikation: Selbst die höchsten Entitäten müssen sich doch immer sprachlich und begrifflich dem beschränkten Verstand der menschlichen Empfänger akkommodieren, sofern sie verstanden werden wollen. Nehmen wir einmal den Star der Garmischer Kanal-Konferenz, Shirley MacLaines Lieblingsmedium Kevin Ryerson. Als Individuum könnte der Amerikaner für einen salbadernden Prediger gehalten werden, wie sie zur Landplage seiner Heimat geworden sind: Nun ist aber unser Entertainer auch noch Bauchredner von gleich drei Geistern. Daß seine Appelle („Don't worry, be happy“) nicht origineller, seine Vorhersagen prophetischer ausfallen als, sagen wir, ein Leitartikel der Gräfin Dönhoff, tut hier wenig zur Sache. Aber warum radebrecht ein 5.000 Jahre alter Ägypter aus Ryersons Bauchladen in einem Amerikanisch mit hollywoodreifem orientalischem Akzent - und nicht gleich auf Deutsch oder in Hieroglyphen? Und warum erzählt uns Frank Alpers „Intelligenz“, Adamis geheißen, denselben erbärmlichen Schwachsinn, den der Durchschnittsamerikaner aus seinen televisionären Medien gewinnt. Sicher, astrale Weisheit kann hienieden nur in homöopathischen Dosen vermittelt werden. Aber wie treten die Geisterstimmen überhaupt in die Materie ein? Ältere Medien hielten noch dafür, daß man sich die Übermittlung der Parastimmen als „Sublimation oder gasförmige Verdunstung des Blutes“ vorzustellen habe; andere vertraten die Theorie, das Ektoplasma materialisiere sich in einer Art Maske, durch die hindurch dann der Geist mit seiner „Ätherzunge“ rede.

Nun mag man einwenden, Ektoplasma und Ätherleib seien der Physik des 19. oder gar 18.Jahrhunderts entlehnt, und in der Tat reden die modernen Kanäle heute lieber vom „göttlichen Laserstrahl“. Andererseits aber haben sich die kontaktfreudigen Geister immer der avanciertesten Kommunikationsmittel bedient. Kaum daß das Morsealphabet erfunden war, bedienten sich Klopfgeister, die vorher noch umständlich Gläser und Tische rückten, dieses Mediums, und die Geschichte der Geisterfotografie reicht bis in die Steinzeit der Daguerrotypie zurück. Seit etwa 1960 haben die Jenseitigen dann zunehmend Radio und Tonband für ihre „Stimmenphänomene“ erschlossen. Auch Telefon, Computer und das Nullmedium Fernsehen stehen redseligen Geistwesen neuerdings zu Gebote. Kein Geringerer als der lettische Ingenieur und Stimmenpionier Konstantin Raudive, der auch die tierische „channel„-Leitfähigkeit gesunder Wellensittiche entdeckte, soll sich nach einem Bericht von 'Bild am Sonntag‘ am 1.Juli 1988, vierzehn Jahre nach seinem Ableben, erstmals in einer audiovisuellen Doppelerscheinung, mithin in Bild und Wort („Guten Abend, liebe Freunde“) zugleich auf Video gezeigt haben. So werden gerade die modernsten Kommunikationstechnologien, die den zwischenmenschlichen Verkehr immer abstrakter machen, zum bevorzugten Tummelplatz paranormaler Störquellen.

Gleichzeitig schafft der erleichterte Zugang zur Geisterwelt Probleme neuer Art. Wie bei allen Funkmedien gibt es das Phänomen des Wellensalats (channel crossing); man hört von spirituellen Piratensendern, von Frequenzreitern und von Schwarzhörern, und in Kalifornien wollen Wissenschaftler sogar mit einem unter Laborbedingungen synthetisch erzeugten Hirngespinst, das auf den Namen Philip hört, Kontakt aufgenommen haben. Das channel-Medium Jack Pursuel hat seinen Geist „Lazaris“ mittlerweile unter Exklusivvertrag genommen, um so Trittbrettfahrern und Plagiatoren zu begegnen. Die Frage bleibt: Warum kommen die Geistwesen trotz ihrer technologischen Innovationskraft intellektuell nicht über die Erzphantastereien eines Swedenborg hinaus? Ist es eine Art spiritueller jet-lag oder eine wohltätige List? Verschiedene Hinweise von drüben deuten darauf hin, daß nur die unteren Klassen der Geisterhierarchie Rederecht genießen; sobald eine arme Seele, ein niederer Geist sich von allen irdischen Schlacken gereinigt habe, werde er auch schweigsam: Erleuchtete verstummen. Wenn aber nur die dümmsten Entitäten zu uns reden dürfen oder wollen, dann kann man auf ihre „schlechte Gesellschaft“ (Kant) auch getrost verzichten - und die geistreichen Weisheitslehrer verstünden wir ohnehin nicht. Die Inflation der Geisterstimmen, ein Resultat der Demokratisierung mediumistischer Talente, weist also nur darauf hin, daß die jenseitigen Plappermäuler über den Tod hinweg verwandte Seelen auch im Diesseits finden. Auch der alte Kant, beileibe kein Materialist, vermutete denn auch, „daß die anschauende Kenntnis der anderen Welt nur erlangt werden kann, indem man etwas von demjenigen Verstande einbüßt, welchen man vor die gegenwärtige nötig hat„; weshalb man hier unten redliche Geisterseher und „Kandidaten des Hospitals“ nur schwer voneinander scheiden könne.

Nur der Hüter der Schwelle, wiewohl am späten Abend nun entschieden von der inspirierenden „Beschaffenheit der Trunkenen“ (Kant), behält in Garmisch klaren Kopf. „Der Mensch ist Staub“, flüstert mir der weltweise Mann zum Abschied zu, „und er wird wieder zu Staub werden. Sogar der Strauß.“