Neue EC-Karten-Regelung: Betrügern Tür und Tor geöffnet

Banken übernehmen jetzt Schaden durch gestohlene Scheckkarten, auch wenn der Diebstahl erst im Nachhinein angezeigt wurde / Auf Druck der Verbraucherverbände / Der Fall „Anne“ und „Otto“: Freunde „betrügen“ sich gegenseitig / Demnächst kennt der Geldautomat auch den Dispositionskredit  ■  Von Karl Nolte

Durch eine ebenso unscheinbare wie längst fällige Änderung ihrer Geschäftsbedingungen haben die deutschen Geldinstitute - mit Ausnahme der Sparkassen - betrügerische Manipulationen an Geldautomaten ermöglicht, nach denen frühere Diebereien wie kleine Fischzüge erscheinen. Kriminelle Elemente, die sich im Besitz einer Eurocheque-Karte befinden, können sich seit Jahresbeginn auf einfache Weise an den ec-Automaten um Tausende von Mark bereichern.

Erinnern wir uns: Vor gut eineinhalb Jahren berichtete die taz an dieser Stelle über den Fall eines Kölners, der seine ec-Karte wahrheitswidrig als verlorengegangen meldete und darauf noch fünf Tage lang jeweils 400 Mark von ec -Geldspendern abhob, weil die von ihm beantragte Sperre des eigenen Kontos aus technischen Gründen von seiner Hausbank nicht ausreichend schnell vollzogen werden konnte. Die abgebuchten 2.000 Mark wurden dem Kölner, der den Verlust seiner ec-Karte rechzeitig bekanntgegeben hatte, natürlich von der Bank ersetzt - wer wollte dem Mann schon nachweisen, daß er von seinem eigenen Konto gestohlen hatte?

Nun, diese Zeiten sind vorbei: Inzwischen gibt es einen Tag und Nacht tätigen „Zentralen Sperrannahmedienst“ (Tel.: 069/740987) in Frankfurt, bei dem abhanden gekommene ec -Karten gemeldet werden können; die meisten ec-Automaten sind zudem durch ein direktes Datensystem miteinander verbunden und eine ec-Karten-Sperre innerhalb von ein bis zwei Tagen für die Geldinstitute kein technisches Problem mehr.

Dafür hat sich an einer anderen Stelle der „Geschäftsbedingungen für den ec-Service“ Entscheidendes geändert: „Nicht zuletzt auf den Druck der Verbraucherverbände hin“, so ein Sprecher des Bundesverbands deutscher Banken (BdV) in Köln, tragen die Geldinstitute bis auf die Sparkassen - künftig 90 Prozent der durch Kartenmißbrauch (Diebstahl) entstandenen Schäden auch dann, wenn der Besitzer den Verlust seiner ec-Karte gar nicht bemerkt und darum auch nicht gemeldet hat. Während der Kunde früher in dieser Situation im Zweifelsfall der Dumme war, weil er für alle unbefugten Abbuchungen haftete, solange er das Verschwinden seiner Plastikkarte nicht angezeigt hatte, ist er also künftig aus dem Schneider: Die Verantwortung für jeglichen Mißbrauch der ec-Karten trägt fortan seine Bank.

Kaum aber ist die neue Regelung in Kraft, da finden sich auch schon kriminelle Gesellen, die dieses Gebaren der Geldinstitute zu ihren Zwecken ausnutzen. Der taz wurde ein besonders gemeines - weil nicht nachzuweisendes - Verbrechen eines Mannes und einer Frau bekannt, das nach zuverlässigen Angaben kurz vor seinem Abschluß steht:

Die miteinander gut befreundeten Anne T. aus Bremen und Otto B. aus Frankfurt (Namen und Orte von der Redaktion geändert) hatten sich zum Jahreswechsel getroffen und bei diesem Anlaß ihre ec-Karten samt Geheimnummern ausgetauscht. Später fuhr Anne mit Ottos Karte zurück nach Bremen und Otto mit der von Anne heim nach Frankfurt. Schon bald begannen die beiden damit, die dort gelegenen Filialen von Annes Bank und der von Otto aufzusuchen. Jedesmal hoben sie den möglichen Höchstbetrag ab. (Große Geldinstitute wie die Deutsche Bank gewähren ihren Kunden einen Abbuchungsspielraum von täglich bis zu 1.000 Mark.)

Als Anne und Otto mit ihrem wechselseitigem Bestehlen begannen, hatten beide einen schönen Batzen von mehreren tausend Mark auf ihren Konten. Darum dürfte es eine Weile dauern, bis sie so arg in die Miesen geraten, daß ihre jeweiligen Kundenberater aufmerksam werden. Schließlich kann man per Abhub vom ec-Geldautomaten den von der Bank eingeräumten Dispositionskredit (Dispo) ohne weiteres überziehen: Eine automatische Kartensperre bei überzogenem Dispo gibt es - bislang - nicht. Die Kundenberater können die mächtigen Bewegungen auf den Konten von Anne und Otto deshalb erst spät bemerken, wenn sie nicht zufällig früher einen Blick in die Unterlagen werfen. Bis es soweit ist, hoffen die beiden Kriminellen zusammen 20.000 Mark beiseite gebracht zu haben.

Unweigerlich werden sich demnächst die Hausbanken bei ihren betrügerischen Kunden melden und Auskunft über die enormen Abbuchungen erbeten. Darauf aber werden dann Anne und Otto nur gewartet haben: Sie werden aller Wahrscheinlichkeit behaupten, mit der Plünderung ihrer Konten nicht das Geringste zu schaffen zu haben und nach kurzem Suchen den Verlust einer alten Brieftasche samt darin befindlicher ec -Karte und Geheimnummer bekanntgeben.

Die beiden Verbrecher sind sicherlich darauf gefaßt, daß die geneppten Banken Verdacht schöpfen werden; eine Anzeige gegen Unbekannt wegen Scheckkartenmißbrauchs bei der Polizei ist außerdem unausweichlich Der Auseinandersetzung mit den Hütern von Gesetz und Ordnung dürften diese kaltlbütigen Betrüger jedoch gelassen entgegensehen: Die fragwürdigen Abbuchungen, mit denen Otto in Frankfurt und Anne in Bremen nichts zu tun haben wollen, sind in Städten geschehen, die jeweils 500 Kilometer vom Wohnort des Kartenbesitzers entfernt liegen. Und für die auf den Kontoauszügen ausgedruckten Abbuchungs-Zeiten besitzen darum natürlich Anne wie Hans ein perfektes Alibi. Die wenigen Geldautomaten mit montierten Videokameras haben unsere Kriminellen natürlich gemieden, um nicht - aus purem Zufall - erkannt zu werden.

Die Banken werden schließlich zähneknirschend neun Zehntel der Schadenssumme bezahlen müssen. So steht es nun einmal in den Geschäftsbedingungen, und andererseits könnte es ja tatsächlich so sein, daß Anne und Otto ihre ec-Karten wirklich verloren haben und vollkommen unschuldig sind. Sowas passiert, und „ein Betrug des Kunden ist nicht die Regel, wenn man das auch auf keinen Fall ausschließen kann“, erläutert ein Sprecher der Deutschen Bank in Hamburg. Der Pressesprecher des BdV vertritt die Ansicht, daß „fast alle Kunden ehrlich sind“, und außerdem: die Banken „gucken schon ein bißchen drauf, wem sie solche Karten geben“.

Das Vertrauen in die Ehrlichkeit ihrer Klientel wollen die Banken allerdings so schnell wie möglich durch eine wirksame Kontrolle ersetzen: Schon in wenigen Monaten soll das Geldautomatensystem soweit perfektioniert werden, daß dem uferlosen Abheben von Geld ein Riegel vorgeschoben ist. Ein „Verfügungsrahmen“, ein nicht überschreitbares Kreditlimit, soll dann dafür sorgen, daß mit den ec-Karten nicht mehr allzu großes Schindluder getrieben wird.

Von der 90-Prozent-Schadensersatz-Klausel ausgeschlossen haben sich lediglich die bundesdeutschen Sparkassen. Hier wird nach Angaben eines Sprechers des deutschen Sparkassen und Giroverbandes weiterhin nach dem Grundsatz verfahren, daß der ec-Kunde in jedem Fall den gesamten Schaden ersetzt bekommt - es sei denn, er hat sich grober Fahrlässigkeit schuldig gemacht: In diesem Fall nämlich zahlen die Sparkassen gar nichts.